Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
Gehen wandte. » Wenn sich das ändert, lass es mich wissen.«
Meine Gedanken rasten, und ich rief ihm nach: » Was denn zum Beispiel? Was könnte ich haben, woran du interessiert wärst?«
Er drehte sich scheinbar lässig um. » Etwas, was Vee von ihrer Reise mitgebracht hat? Ich bin ein sentimentaler Kerl. Wäre vielleicht nett, ein Erinnerungsstück zu haben.«
Sein beiläufiger Tonfall verbarg etwas Dringlicheres. Er war hinter etwas her, und wenn ich es vor ihm fand, würde er keine Wahl haben, als mir zu helfen. Mit Druckmitteln zu arbeiten war ein Prinzip, das ich durchschaut hatte, sobald ich alt genug gewesen war, um Nachtisch zu bitten. » Was, wenn ich etwas finde? Einen Hinweis, eine Spur oder… ein Erinnerungsstück? Für dich?«
» Ich werde dann und wann in der Gegend sein.« Er drängte sich zwischen den Zweigen einer riesigen Trauerweide hindurch. » Eines muss ich sagen, Mouse: Ich hätte nicht erwartet, dass du so viel Ärger machen würdest.«
» Das habe ich bisher auch nie«, murmelte ich und schob mich durch den Vorhang aus silbergrünen Blättern, um ihm zu folgen. Aber Luc war verschwunden.
Ich mochte mich ja verändert haben, aber meine Familie nicht. Das immerhin war offensichtlich, als ich zum Parkplatz zurückkehrte und sie neben dem Auto meines Onkels warten sah. Für das ungeschulte Auge wirkte es, als würden meine Mutter und mein Onkel ein nettes Gespräch führen. Über die Baustelle auf der Schnellstraße vielleicht, oder darüber, ob die White Sox dieses Jahr bis ganz oben kommen würden und ob morgen lieber Brombeertörtchen oder Rhabarberkuchen im Angebot sein sollten. Doch beinahe achtzehn Jahre Erfahrung ließen die Wahrheit offenbar werden. Diese hochroten Flecken auf den Wangen meiner Mutter, die Art, wie sie an ihrem Ehering herumspielte, das tröstende Tätscheln meines Onkels… Meine Mutter war mitten in einem Ausflippen der Stärke fünf, und Onkel Billy versuchte, sie zu beruhigen.
» Wo warst du?« Sie raste zu mir herüber und sah sich um, bevor sie fortfuhr. Wir waren allein, aber sie hielt dennoch die Stimme gesenkt. » Wir waren ganz außer uns! Jemand hat gesagt, du wärst ohnmächtig geworden!«
» Es geht mir gut.« Ich löste ihre Finger von mir. » Mir war ein bisschen schwindlig, das ist alles.«
» Warum hast du nicht auf uns gewartet? Ich habe dich alle fünf Minuten auf dem Handy angerufen! Wir dachten… Ich kann dir nicht einmal sagen, was ich gedacht habe! Wie konntest du mir nur einen solchen Schrecken einjagen?«
Onkel Billy drückte mir eine lauwarme Wasserflasche in die Hand, und in seiner Miene mischten sich Besorgnis und Misstrauen. Wenn ich meine Mutter zum Schweigen gebracht hatte, würde auch er Antworten wollen. Ich trank einen großen Schluck, teils um mir Abkühlung zu verschaffen, teils um Zeit zu gewinnen, während ich mir eine Geschichte ausdachte. Wie gelang es Luc nur, so geschmeidig zu lügen?
Ich zauberte ein verlegenes Lächeln auf mein Gesicht, zog mein Handy aus der Tasche und streckte es meiner Mutter hin. » Ich habe es vor dem Gottesdienst abgestellt. Es hätte sich doch nicht gehört, es dort klingeln zu lassen.« Das stimmte sogar. Und war zugleich praktisch, da die größte Angst meiner Mutter war, dass ich Theater machen könnte. Allein schon der Gedanke daran war meine persönliche » Du kommst aus dem Gefängnis frei«-Karte.
» Na ja«, sagte sie besänftigt, » das ist verständlich. Bist du dir sicher, dass du dich besser fühlst?«
» Voll und ganz. Mir war bloß ein bisschen schwummrig.«
» Das könnte etwas Ernstes sein, Schatz! Eine Gehirnerschütterung! Vielleicht sollten wir dich wieder ins Krankenhaus bringen. Billy? Was meinst du…«
Onkel Billy öffnete ihr die Tür und half ihr in den Cadillac. Sein Tonfall war leicht tadelnd. » Komm schon, Annie. Wenn sie sagt, dass es ihr gut geht, dann geht es ihr gut. Sie wollte wahrscheinlich nur kurz allein sein, wie Pattys Tante gesagt hat.«
Also hatte Evangeline nicht erwähnt, dass Luc bei mir gewesen war. Wen von uns beiden schützte sie?
Meine Mutter wartete, bis ich den Sicherheitsgurt angelegt hatte, dann drehte sie sich auf ihrem Sitz um und setzte da wieder an, wo sie aufgehört hatte. » Du darfst nicht einfach so verschwinden, Mo. Hast du denn gar nichts gelernt? Dir hätte etwas zustoßen können.«
» Aber es ist nichts passiert!«
» Diesmal«, sagte Onkel Billy und klopfte mit einem Finger aufs Steuerrad, während wir zu den Greys
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