Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
hatte, während Elsa ihr nie begegnet war. Oder vielleicht lag es daran, dass ich es leid war zu tun, was man von mir verlangte. Ganz gleich aus welchem Grund, ich blieb stumm, als wir die Interstate 57 überquerten; der Verkehr unter uns stockte bereits, da die Hauptverkehrszeit näher rückte.
Elsa seufzte. » Alles, was ich sagen wollte, ist Folgendes: Wenn es da etwas gibt, dann könnte es die Polizei, wenn man ihr davon erzählt, in die richtige Richtung stupsen und ihr helfen, den Fall zu lösen. Ist das nicht das, was du willst?«
Ich glaube nicht, dass sie absichtlich so von oben herab war, aber sie ließ es klingen, als wäre ich ein kleines Kind, das seine Limabohnen nicht aufessen wollte. Natürlich wollte ich, dass die Polizei den Fall löste– aber um Veritys willen, nicht für Onkel Billy. Er konnte auf sich selbst aufpassen, besonders, wenn er Elsa dafür bezahlte. » Also ist das die dritte Regel? Ihnen zu erzählen, woran ich mich erinnere? Ich meine, falls ich mich an etwas erinnere?«
Elsas aufmunterndes Lächeln verschwand. » Nein. Die dritte Regel lautet: Lüg mich nicht an. Lügen können Überraschungen bedeuten, gewöhnlich im schlechtesten Augenblick überhaupt. Ich kann mit der Polizei umgehen, wenn es etwas gibt, wovon du willst, dass sie es nicht erfährt, aber es ist wichtig, dass wir die Situation unter Kontrolle haben. Es geht nur darum, wer die Kontrolle über die Informationen hat. Sei aufrichtig zu mir, dann tue ich alles, was ich kann, um dir zu helfen. Erzähl mir was vom Pferd, dann war’s das. Das habe ich deinem Onkel schon gesagt, als ich mich bereiterklärt habe, deinen Fall persönlich zu übernehmen. Ich könnte dich nach unten an einen unserer neuen Angestellten weiterreichen, irgendeinen Grünschnabel, der gerade erst seine Zulassungsprüfung bestanden hat. Das willst du nicht, Mo. Du willst, dass ich auf deiner Seite bin.«
Ich betrachtete es schon als Sieg, dass ich nicht hörbar schluckte. Zählte es als Lüge, dass ich die Schneekugel gestohlen hatte? Niemand hatte mich darüber verhört; niemand hatte mich gefragt, ob ich mich in letzter Zeit auf Diebstähle eingelassen hätte. Und weil niemand gefragt hatte, hatte ich nicht gelogen. Klar, das war eine reine Formfrage, aber auf solche Dinge legten Anwälte doch Wert, oder?
Elsa fuhr so Auto, wie sie auch alles andere tat– schnell, entschieden und aggressiv. Meine Finger schlossen sich fester um den Türgriff. Andere Fahrer schienen es ebenfalls zu spüren und machten rasch Platz, wenn sie dicht hinter ihnen auffuhr. Radfahrer, die normalerweise selbst so aggressiv fuhren, dass es selbstmörderisch wirkte, wichen zum Bordstein hin aus und warteten, bis wir vorbei waren.
» Ich verstehe nicht, warum er so auf Onkel Billy fixiert ist.« Dank meines Vaters waren wir an die Aufmerksamkeit der Polizei gewöhnt. Wir kannten die Mitarbeiter des Finanzamts beinahe schon beim Vornamen. Aber das hier war etwas anderes. Es ging über Gerüchte und Belästigungen hinaus. Jeder Idiot konnte sehen, dass Veritys Tod nichts mit meinem Vater oder dem Unternehmen zu tun hatte, aber Kowalski wollte lieber seinen alten Groll hegen, als nach der Wahrheit zu suchen. Das war so unfair, dass ich gern um mich getreten hätte.
Elsa sagte nichts, ein perfektes Vorbild, was ihren eigenen Ratschlag anging.
Entsetzen begann in mir aufzukeimen, ein paar klebrige, schwarze Ranken in meinem Magen, aber ich unterdrückte sie. » Onkel Billy hat doch nichts Schlimmes getan, oder?«
Sie wechselte die Spur. » Detective Kowalski leidet an einem akuten Anfall von Tunnelblick, was deinen Onkel angeht.«
Sie hatte meine Frage nicht beantwortet, und darauf wollte ich sie gerade hinweisen, als sie mir einen Blick zuwarf. » Du willst Antworten, und ich kann sie dir verschaffen, aber nicht, wenn Kowalski sich weiterhin auf dich und deinen Onkel konzentriert. Das Beste, was du tun kannst– für deine Freundin und für alle anderen–, ist, dich an die Regeln zu halten.« Sie parkte mit quietschenden Reifen in einer Lücke vor The Slice is Right. » Ist das klar?«
» Absolut.«
» Prima. Ich melde mich.«
Meine Füße hatten kaum den Bürgersteig berührt, als sie schon wieder in den Verkehrsfluss hineinbrauste.
Onkel Billys Bar, das Black Morgan’s, lag neben dem Diner. Wenn man wollte, konnte man durchaus um fünf Uhr morgens seinen Tag im Slice beginnen und ihn dreiundzwanzig Stunden später im Morgan’s beenden, ohne auch nur einen Fuß
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