Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
Umständen würde sie zulassen, dass jemand anders den Ruhm für ihren Exklusivbericht einheimste. » Er hat Geld für die Mafia gewaschen, aber ihre ganze Familie wusste darüber Bescheid, sogar ihre Mutter. Er wird jetzt auch bald aus dem Gefängnis entlassen.«
» Oh mein Gott!«, kreischte eine andere Stimme. » Könnt ihr euch das vorstellen?«
Man konnte Jills Worten das hämische Grinsen anhören. » Glaubt ihr, er wird seinen Sträflingstrainingsanzug zur Schulabschlussfeier tragen?« Die Gruppe kicherte, während sie munter fortfuhr: » Mein Vater spielt Tennis mit dem Staatsanwalt, und der hat gesagt, dass die Polizei annimmt, dass die Mafia versucht hat, na ja, Mos Onkel einzuschüchtern oder so. Sie sollten sie wohl eigentlich nur zusammenschlagen.«
» Nein«, hauchte ein Groupie. » Und dann haben sie stattdessen Verity umgebracht?«
Jemand anders meldete sich zu Wort. » Waren die etwa blind? Wie kann man die beiden denn verwechseln?«
» Ich weiß.« Noch mehr höhnisches Gelächter. Doch ich rührte mich nicht, erstarrt in dem Bedürfnis, mehr zu hören.
» Ist immer noch jemand hinter Mo her? Ich meine ja nur… Wenn sie in Gefahr ist, heißt das nicht, dass wir es auch wären?« Sie tuschelten, loteten die Wirkung aus, die solch eine Gefahr vielleicht auf ihre Beliebtheit haben würde.
» Wahrscheinlich nicht«, sagte Jill und genoss jede Sekunde ihrer Zeit als Star. Sie war so ein Miststück! Das war sie schon immer gewesen. Ich wusste, dass Veritys Tod nichts mit meiner Familie zu tun hatte– dessen war ich mir immerhin sicher. Aber der Rest ihres giftigen kleinen Auftritts ergab einen furchtbaren Sinn. Kowalskis Interesse an Onkel Billy, Elsas Pitbull-Taktik, Colins ständige Wachsamkeit, die wachsende Paranoia meiner Mutter– sie überreagierten alle, weil sie glaubten, dass da eine Verbindung bestehen könnte. Und dazu hätten sie nur einen Grund gehabt, wenn die Gerüchte über meinen Onkel und die Mafia zutrafen.
Ich grub meine Fingernägel in die Handflächen und blieb ruhig, als Jill weitersprach: » Sie haben doch ein Exempel statuiert, oder? Außerdem könnte ein totes Mädchen noch ein Zufall sein. Zwei? Das würde ein großes Medienecho hervorrufen.«
Sie klang so selbstgefällig, so schlau, und ich wollte durch die Hecke greifen und ihr das blondierte Haar an den Wurzeln herausreißen. Sie plapperte nach, was sie belauscht hatte, und schmückte es aus, um mehr Aufmerksamkeit zu erhaschen. Sie hatte Verity nie gemocht. Sie war eifersüchtig darauf gewesen, dass jemand mit weniger Geld und bescheidenerer gesellschaftlicher Stellung aufrichtig beliebt gewesen war, während Jill selbst eher gefürchtet als gemocht wurde. Doch ich sagte nichts. Ich blieb im Schatten, wie immer.
» Weiß Mo davon?«, fragte jemand.
» Natürlich! Warum sonst hätte sie so still sein sollen? Sie hat keine Interviews gegeben. Wann immer sie mit der Polizei spricht, hat sie irgendeine Anwältin dabei, die achthundert Dollar die Stunde nimmt, und ihr habt sie doch bei der Beerdigung gesehen– sie wollte nicht einmal mit uns reden. Sie ist schuld, und das weiß sie auch.«
Es reichte. Ich musste hier weg. Ich stolperte davon, und es war mir gleichgültig, ob sie mich hörten. Lichter verschwammen, die Wände und Fußböden neigten sich in seltsamen Winkeln. Leute starrten mich an, als ich mich auf der Suche nach Lena durch überfüllte Räume drängte und die Wirkung dessen spürte, was ich getrunken hatte. Als ich um eine Ecke bog, rannte ich gegen Seth. Sein Gesicht erhellte sich, und er griff nach meiner Hand. Ich riss mich los und rannte einen anderen Flur hinunter; ich suchte verzweifelt nach einem Fluchtweg. Warum sollte ich erst Lena aufstöbern? Ich würde schon einen anderen Weg nach Hause finden. Endlich fand ich die Haustür und fiel die Stufen halb hinab. Im Gehen sog ich gierig die frische Luft ein. Es spielte keine Rolle, wo ich mich wiederfand, solange es nur weit entfernt von der Party war.
Jills Geschichte stimmte nicht. Gut, der Teil über meinen Vater schon, aber es war nie bewiesen worden, dass Onkel Billy etwas mit irgendeinem der Geldwäschevorwürfe zu tun gehabt hatte, für die mein Vater verurteilt worden war. Mein Vater war ein Gauner, und noch dazu ein lausiger, aber Onkel Billy war sauber– zumindest so sauber, wie irgendjemand in Chicago es sein konnte. Er würde nie etwas tun, das unserer Familie schadete. Das hatte er mir versprochen. Ich hatte ihm geglaubt. Bis
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