Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
gingen in die Frühstücksecke– wenn man denn einen Raum, der größer als mein Zimmer war, als » Ecke« bezeichnen kann. Sie war blau und gelb eingerichtet, in der Art von französischem Bauernhausstil, die sich kein Bauer leisten kann. Ich starrte eine Sammlung von Tellern mit Hahnenmotiv an, statt Seth in die Augen zu sehen. Sie glänzten ein wenig zu sehr und standen voller Fragen. Sein Gesicht war gerötet. Beschwipst, aber nicht sinnlos betrunken.
Der Cosmo stieg mir schon zu Kopf, da ich das Abendessen ausgelassen hatte. Jetzt bedauerte ich es. Seth aus dem Weg zu gehen, wäre leichter gewesen, wenn ich sicherer auf den Beinen gewesen wäre.
» Ich war auf der Beerdigung«, sagte er. » Warum bist du nicht herübergekommen und hast dich zu uns gestellt?«
Weil ich nach einem Mörder Ausschau gehalten habe? » Familienkram.«
» Wir sind nachher alle rüber zu Anderson’s gegangen. Du hättest auch kommen sollen.«
Natürlich. Erst gingen sie auf Veritys Beerdigung, dann kippten sie ihr zu Ehren einen. Ich zupfte wieder an meinem Rock und versuchte, mir die beste Fluchtmöglichkeit einfallen zu lassen.
» Ich sollte Lena suchen…«
Seth fiel mir ins Wort: » Du warst dabei, oder? Als es passiert ist?«
Mein Mund schmeckte sauer. Ich nahm noch einen Schluck, um den Geschmack wegzuspülen. » Ja.«
» Du hast so ein Glück gehabt, Mo.« Er trat einen Schritt näher heran. » Es hätte genauso gut dich treffen können.«
Er meinte es gut, rief ich mir ins Gedächtnis.
Er berührte mich leicht am Ellbogen. » Weißt du, ich habe dich danach nicht angerufen, weil ich dachte, du würdest vielleicht etwas Zeit brauchen.«
Ich wies ihn nicht darauf hin, dass es erst zwei Wochen her war. Ich starrte in meinen Becher, während er hastig weiterredete: » Ich habe mich gefragt, ob du Lust hättest, dir diesen neuen Film anzusehen– von dem Typen, der auch Shutter gedreht hat? Und danach vielleicht ein bisschen was zu essen?«
Einen Slasher-Film? Ernsthaft? Ich machte einen winzigen Schritt rückwärts. » Wow. Das ist… äh… echt süß von dir, Seth. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich schon dazu bereit bin.«
» Du siehst nett aus. Als ob es dir gut geht, meine ich.«
Nett. So langsam hasste ich dieses Wort.
» Nächsten Freitag? Das wäre doch eine gute Art, das letzte Schuljahr zu beginnen«, fügte er hinzu. Er rückte näher heran und strich mir mit der Hand sacht über den nackten Arm– und das war es dann. Zur Hölle mit » nett«.
Ich stieß seine Hand von mir. » Ich muss Lena suchen«, sagte ich und floh aus dem Zimmer.
Es war dumm gewesen herzukommen. Dumm zu glauben, ich könnte in mein altes Leben zurückkehren, das gründlicher zerschmettert war als Veritys Schneekugel. Ich stolperte durchs Haus, und falls die anderen auch diesmal tuschelten, bemerkte ich es nicht.
Das Gute an einem Haus wie unserem ist, dass man sich darin, da es die Größe eines Schuhkartons hat, nicht verlaufen kann, ganz gleich wie viel man getrunken hat. Mit dem der McAllisters war es anders. Ich suchte die Freiheit– und landete im Garten hinter dem Haus. Vom Pool ging ein waberndes Licht aus; der Geruch von Chlor mischte sich unangenehm mit dem von Haschisch. Patio und Rasen waren mit Papierlaternen übersät. Überall standen Grüppchen von Möbeln, auf denen Leute hockten, und die Bässe der Musik dröhnten so, dass mir die Zähne vibrierten. Genau das, was ich hatte vermeiden wollen. Ich entdeckte einen einsamen Stuhl, der hinter einer Hecke hervorsah, und machte gewissermaßen einen Hechtsprung darauf zu.
Auf der anderen Seite der Hecke drängte sich eine Menschenansammlung– Jill McAllister, umgeben von ihren Bewunderern. Erst konnte ich nicht verstehen, was sie sagten, aber dann wechselte die Musik von elektronisch zu Indie-Pop, und das Gespräch war weithin zu hören.
» Ihr wisst doch, was man sich so erzählt, oder?« Jill sonnte sich zweifellos in dem Interesse. » Die Mörder waren hinter Mo her, nicht hinter Verity.«
Hörbares Luftschnappen. » Wirklich?«
» Kann nicht sein«, sagte irgendjemand anders verächtlich. » Mo? Die müssten sie doch überhaupt erst einmal bemerken.« Ein Chor von Gekicher.
Ich biss mir auf die Lippen, als Jill sagte: » Es stimmt aber. Es ist alles wegen ihres Onkels. Wisst ihr, er ist ein Gangster.«
» Das stimmt«, pflichtete eine Stimme ihr bei. » Ihr Vater…«
»… war bloß Buchhalter«, unterbrach Jill das andere Mädchen – unter keinen
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