Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
irgendetwas Schlimmes geschieht. Als ob es deshalb in Ordnung wäre oder so. Das ist es nicht. Und es beweist auch nichts über Gott oder das Schicksal oder was auch immer. Es beweist nur, dass das Leben echt beschissen ist.«
Wir stiegen ins Auto und fuhren los. Evangeline schwieg die Fahrt über, und ich starrte aus dem Fenster, durch das ich erst die Hochhäuser des Loop, dann elegante Lofts und Sandsteinhäuser und schließlich mein Viertel sah. Es war überwiegend eine Arbeitergegend und ein bisschen schäbig, aber die Rasenflächen waren ordentlich gemäht und es standen keine Läden leer. Leute spazierten die Bürgersteige entlang, statt sich mit gesenktem Kopf zu beeilen, an einen besseren Ort zu gelangen. Es war nicht schick– es war ein ruhiges Wohngebiet, in dem Leute zu leben versuchten. Für mich war es der Ort, an dem alle um die Schande meiner Familie wussten. Mein Vater saß im Gefängnis, während meine Mutter treu auf seine Rückkehr wartete und mein Onkel ein Mann war, dem man schmeichelte und den man fürchtete. Und ich war diejenige, über die alle den Kopf schüttelten, die, die alle bemitleideten, weil sie glaubten, dass meine Herkunft bestimmte, wer ich war.
Das tat sie nicht.
» Ich würde mich freuen, wenn du dir etwas überlegen würdest«, sagte Evangeline, als wir vor meinem Haus hielten.
» Was?«
» Du hast deutlich gemacht, dass du daran interessiert bist, Rache für Veritys Tod zu nehmen.« Ich starrte auf unsere Vordertreppe, die bröckelnden Kanten der Stufen und die Rostflecken am gusseisernen Geländer, während sie fortfuhr: » Doch Lucien und ich haben weit bessere Aussichten, die Wahrheit aufzudecken, und sind geeigneter, Vergeltung zu üben.«
» Ich habe es ihr versprochen.«
» Das wollen wir auch würdigen. Versprechen haben in unserer Welt großes Gewicht, Mo. Die Leute, die Verity umgebracht haben, haben sie daran gehindert, ihre Bestimmung zu erfüllen. Im Moment platzen sie nun vor übersteigertem Selbstbewusstsein und glauben, ihre Arbeit sei getan. Wenn du Veritys Bestimmung übernimmst und die Aufgabe erfüllst, die sich ihr gestellt hat, kannst du ihnen beweisen, dass sie unrecht haben. Veritys Opfer wäre nicht umsonst gewesen. Das wäre wirklich eine umfassende Rache.«
» Warten Sie mal. Sie wollen, dass ich das Gefäß werde? Die Sturzflut aufhalte?«
» Denk darüber nach«, sagte Evangeline, als Colins Truck hinter uns anhielt. » Wir hören voneinander.«
Kapitel 16
» Erzähl mir mehr über den Typen«, sagte Lena und wippte leicht auf ihrem Stuhl.
Ich verschob eine Textspalte auf dem Monitor mit der Maus um drei Millimeter. » Welchen Typen?«
» Den, der dich von der Party nach Hause gebracht hat. Es ist doch der, der dich nach der Schule immer abholt, oder? Habt ihr etwas miteinander?«
Ich wusste noch nicht einmal, wo ich ansetzen sollte, um sie zu verbessern. Colin zu erklären war schwer genug, sogar mir selbst gegenüber. Wenn ich sagte, dass er ein Bodyguard war, den mir mein Onkel zur Verfügung gestellt hatte, würden alle glauben, dass Jill recht hatte, dass der Angriff eigentlich mir gegolten hatte. Ihn einen Freund der Familie zu nennen hätte bedeutet, ihn für alle Mädchen der Schule zum Freiwild zu machen, und das kam mir zu grausam vor, besonders, da er über Jills Party den Mund gehalten hatte. Zu sagen, dass er ein Freund von mir war, wäre nicht nur lächerlich, sondern auch peinlich gewesen.
Colin war vieles– zuverlässig, stur und unglaublich gut aussehend, um nur einige Eigenheiten zu nennen, aber » freundlich« war kein Wort, das ich benutzt hätte, um ihn zu beschreiben.
» Wir haben nichts miteinander, und Colin hat mich nicht von der Party abgeholt«, sagte ich und versuchte, mich auf das Zeitungslayout vor mir zu konzentrieren. Wir fügten gerade einen besonderen Nachruf auf Verity ein, und Lenas Bedürfnis, mein neuerdings so kompliziertes gesellschaftliches Leben zu erforschen, hielt uns auf.
Lena sah mich skeptisch von der Seite an. » Wie bist du dann nach Hause gekommen?«
» Bloß mit einem Freund. Keinem, den du kennst.« Luc war seit der Nacht der Party seltsam abwesend gewesen, und die Funkstille war verstörend. Ich hoffte, dass sie darauf zurückzuführen war, dass er Hinweisen nachging oder darüber nachdachte, wie man die Sturzflut aufhalten konnte, nicht darauf, dass er es sich anders überlegt hatte.
» Lädst du denn deinen Bloß-ein-Freund zum Homecoming-Ball ein?«
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