Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
beschützen.« Ich schluckte schwer, als sie fortfuhr: » Ich nehme an, es ist durchaus möglich, dass ein geringer Teil von Veritys Essenz auf dich übergegangen ist, sobald sich ihr Blut mit deinem vermischt hatte– genug, um den Ring zu zwingen, dich an ihrer Stelle anzuerkennen.«
» Nur, dass ich nicht über ihre Magie verfüge.« Mir zu wünschen, dass ich Magie hätte, würde es nicht wahr werden lassen. Wünsche ließen nie irgendetwas wahr werden.
» Das ist ärgerlich. Doch da der Ring dich anerkennt, besteht vielleicht immer noch Hoffnung.« Sie klang allerdings nicht besonders hoffnungsvoll.
» Hoffnung worauf genau? Sie sagen immer, dass Verity die Welt gerettet hätte, aber wie?«
» Alle Magie strömt durch die Ley-Linien«, erwiderte Evangeline. » Aber sie fransen aus, und das täglich schneller. Wir hatten gehofft, dass Verity sie würde reparieren können, um so das Eintreten der Sturzflut zu verhindern.«
» Warum versagen die Linien?«
» Entropie gibt es leider nicht allein in dieser Welt. Magie kann wie alles andere zu Chaos verkommen, wenn sie nicht ordentlich gepflegt wird.«
» Verity sollte also die Linien reparieren?«
» Mehr als reparieren. Der Prophezeiung nach hätte das Gefäß, wenn die Sturzflut am Ende eingetreten und die rohe Magie hervorgebrochen wäre, die Linien komplett umgeformt. Es wäre eine atemberaubende Machtdemonstration gewesen. Sie hätte wortwörtlich die Welt verändert.«
» Aber Verity kann die Prophezeiung nicht mehr erfüllen. Was geschieht mit der Magie?«
» Sie wird immer instabiler. Bald wird sie an den schwächsten Stellen zu reißen beginnen. Es gibt Dinge, die fähige Magier tun können, um die Risse aufzuhalten, aber diese Reparaturen wirken nur zeitlich begrenzt. Wenn die rohe Magie erst durchbricht, wird sie Bögen mit schwachen oder noch nicht offenbarten Talenten töten. Constance ist beispielsweise noch nicht in dem Alter, in dem ihre Fähigkeiten– wenn sie denn welche hat– an die Oberfläche treten würden. Wenn die Sturzflut kommt, wird sie wahrscheinlich nicht überleben. Natürlich werden auch alle Flachen, die zu dem Zeitpunkt Kontakt mit einer Linie haben, ums Leben kommen.«
Sie sagte es gleichmütig, aber ich fühlte mich, als hätte ich einen Schlag in die Magengrube bekommen.
» Wie viele?«, fragte ich.
» Wie bitte?«
» Wie viele Flache sind in Gefahr?«
» Über das Thema habe ich noch nicht weiter nachgedacht. Vielleicht… ein Prozent der Bevölkerung? Ballungsräume tendieren dazu, sich in der Nähe der mächtigsten Linien zu bilden, also wären die Verluste an Menschenleben hier größer, in ländlichen Gebieten geringer.«
Ein Prozent. Sogar an der St.-Brigid-Schule wären das vierzehn Mädchen. Mädchen, die ich seit Jahren kannte. Und auch Con? Hatte Veritys Familie nicht schon genug gelitten? Gewiss würde die Magie nicht so grausam sein– nicht, dass sie bisher irgendwelche Anzeichen von Barmherzigkeit gezeigt hätte. » Warum sollte jemand das wollen?«
» Wie bitte?«
» Warum sollte jemand wollen, dass die ganze rohe Magie herumfliegt, wenn sie so gefährlich ist?«
Evangeline schürzte die Lippen. » Dafür gibt es eine Reihe von Gründen; die meisten von ihnen sind politisch. Es gibt Gruppierungen– Bündnisse, wenn du so willst–, die verschiedene Aspekte unserer Gesellschaft regulieren. Eine von ihnen hat vielleicht den Eindruck, dass sie aus den Nachwehen der Sturzflut stärker hervorgehen würde als alle anderen Bündnisse.«
» Und dafür würden diese Leute unschuldige Menschen sterben lassen?«
» Macht ist etwas Verführerisches. Es ist selten, dass jemand sich nicht danach sehnt, mehr davon zu haben, als ihm zusteht.«
» Ja, aber die meisten Leute würden keine ganze Gesellschaft zerstören, um neuer Herr im Hause werden zu können.« Doch vielleicht kam es auch nur auf die Größe des Hauses an.
» Die meisten Leute würden es auch nicht riskieren, in eine Prophezeiung dieser Größenordnung einzugreifen. Das Schicksal ist nichts, womit man leichtfertig umgehen sollte. Der Stoff des Universums verzieht sich in den meisten Fällen, um das Muster aufrechtzuerhalten, und die Auswirkungen sind unvorhersehbar. Was wiederum erklären mag, warum Veritys Ring auf dich reagiert.«
» Ich glaube nicht an Schicksal.«
» Nein? Was ist mit Gottes Willen?«
» Alle sagen andauernd, dass Veritys Tod Gottes Wille war«, entgegnete ich. » Sie erzählen es mir sogar immer dann, wenn
Weitere Kostenlose Bücher