Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
nicht, dass viele Leute von ihm wussten.«
» Aber du.«
» Er ist hier hochgekommen, nachdem sie gestorben war.« Ich traute mir selbst nicht genug, um noch mehr zu sagen. » Was hast du Ms. C. erzählt?«
» Das Einzige, was sie mir glauben konnte. Es hat dich sehr belastet, den Nachruf zusammenzustellen. Ich habe übrigens deine Tasche in meinen Spind eingeschlossen.«
» Danke. Ich schulde dir etwas.«
» So einiges.«
Wir holten meine Tasche, und ich schickte Colin eine SMS , um ihn wissen zu lassen, dass ich fertig war. Lena wartete mit mir an der Tür. Colins Regel: Selbst an einem schönen Herbstabend drinnen bleiben, bis er das Signal gibt. Jetzt, da ich wusste, was für Dinge aus der Nacht auftauchen konnten, machte mir das nicht mehr so viel aus.
Lena klopfte mit einem Fuß auf den gefliesten Boden und musterte mich. » Ihr beiden habt immer wie eine Einheit gewirkt, du und Verity. Als wärt ihr euch selbst genug gewesen, weißt du?«
» Sie hatte haufenweise Freundinnen«, sagte ich überrascht. » Alle mochten sie.«
» Sie mögen dich auch. Aber Verity… sie hat Leute nahe an sich herankommen lassen oder sie zumindest glauben lassen, sie stünden ihr nahe. Du tust das nicht.«
Ich spielte mit der Klappe meiner Schultasche herum, ließ die Schnalle einrasten und löste sie wieder. Vielleicht empfing ich Leute nicht so mit offenen Armen, wie Verity es getan hatte, aber das war doch nur vernünftig. Ich wollte nichts über meinen Vater erklären oder mir schlecht getarnte Fragen über Onkel Billys Geschäftsinteressen anhören müssen. Selbst als ich noch klein gewesen war, hatte ich nicht lange gebraucht, um herauszufinden, dass Eltern nicht wollten, dass ihre Kinder mit mir spielten. Sie waren gern bereit, sich auf die Hilfe meines Onkels zu verlassen, wenn sie Arbeit brauchten, einen untreuen Ehepartner aufstöbern wollten oder Schulden zu begleichen hatten, aber sich mit der Tochter des Kriminellen zum Spielen zu treffen war etwas ganz anderes.
» Ich meine ja nur… Es wäre vielleicht nicht schlecht, weißt du? Die Hand auszustrecken. Oder zuzulassen, dass andere Leute die Hand ausstrecken.«
Vor der Doppeltür hupte Colin zweimal kurz. » Danke noch mal, dass du mich gedeckt hast.«
» Jederzeit«, sagte Lena, ein bisschen traurig.
» He, sollen wir dich nach Hause bringen?« Ich würde unter keinen Umständen noch eine Freundin allein im Dunkeln nach Hause gehen lassen.
Sie lächelte. » Nein, ich komme schon klar. Ms. C. wartet darauf, dass ich auf ›Senden‹ klicke. Wir gehen dann zusammen los.«
» Okay. Wir sehen uns morgen.« Die Temperatur draußen war mindestens zehn Grad niedriger als in New Orleans, und die Kälte machte mich unbeholfen, als ich einstieg und meinen Sicherheitsgurt einrasten ließ.
» Nach Hause, Butler.«
Er stellte die Heizung an und kämpfte gegen ein Lächeln an. » Nenn mich nicht ›Butler‹. Bist du mit der Zeitung fertig geworden?«
» Ja.« Es hätte besorgniserregend sein sollen, wie mühelos ich im Moment log. » Ich will nur nach Hause und die Beine hochlegen.«
Colin brummte. » Dein Nickerchen muss warten. Dein Onkel will dich sehen.«
» Es ist schon nach elf.«
» Es sollte nicht lange dauern.«
Mich packte die Angst. » Kriege ich Ärger? Hast du ihm etwa erzählt, dass…«
» Von der Party? Nein. Entspann dich.«
Er hatte gut reden! Ich lehnte den Kopf gegen das kühle Glas des Fensters und versuchte, eine bequeme Körperhaltung zu finden. Der Adrenalinstoß aus der Bar war verflogen, und mein Kopf fühlte sich schwer und dumm an. Nicht der beste Zustand, um sich mit Onkel Billy zu treffen. » Mein Gott, bin ich müde.«
Irgendetwas an meinem Tonfall musste Colin in Sorge versetzt haben, denn er streckte den Arm aus und zerzauste mir sanft das Haar. » Halt noch ein bisschen länger durch, Kid.«
Ich schloss die Augen und dachte an unsere erste Begegnung zurück. » Nenn mich nicht ›Kid‹«, sagte ich erschöpft. » Was tust du, wenn du nicht hier bist?«
» Ich habe ein paar Nebenjobs.«
» Als Bodyguard?«
» Holzarbeiten.«
» Du bist Tischler«, sagte ich, atmete den Duft von Kiefernspänen ein und erinnerte mich an die Schwielen an seinen Händen.
» Ja. Im Moment ist es aber nichts Großes. Ein Sofatisch, ein Spiegel.«
Ich berührte die Stelle meiner Wange, an der Luc mich geheilt hatte. » Das klingt nett.«
Der Truck wurde langsamer und kam dann ruckelnd zum Stehen. » Bereit?«
Einen Augenblick später
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