Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
Nachsitzen verdonnert, wenn nicht gerade ein Gastvortrag gehalten worden wäre.
Nick Petros war politischer Reporter für die Tribune und schrieb mehrfach pro Woche eine Kolumne auf Seite zwei. Der Bürgermeister zählte zu seinen Lieblingsthemen, das organisierte Verbrechen und die weitverbreitete Korruption ebenfalls. Mein Familienname wurde zurzeit nicht oft erwähnt, aber als ich ihn bei Google gesucht hatte, hatte ich herausgefunden, dass Petros vor dreizehn Jahren ziemlich großes Interesse an meiner Familie gehabt hatte. Sogar heute noch beklagte sich mein Onkel über ihn und seinen » verleumderischen, sensationsgierigen, sogenannten Journalismus«.
Aus der Nähe betrachtet wirkte Petros wie ein netter Kerl. Er trug eine khakifarbene Hose mit Bügelfalte und ein langärmliges schwarzes Polohemd. Beides saß am Bauch ein wenig stramm. Sein graumeliertes Haar war ordentlich aus dem rötlichen Gesicht zurückgekämmt, dessen Nase und Wangen die geplatzten Äderchen aufwiesen, die ich bei den Alkoholikern im Black Morgan’s schon oft gesehen hatte. Er hörte nicht zu reden auf, als ich hereinkam. Die Hände in die Taschen gesteckt lehnte er am Podium und sprach weiter, aber ich hatte den Eindruck, dass seine Aufmerksamkeit sich unverkennbar auf mich verlagert hatte.
Als er dann eine Frage stellte, irgendetwas über unparteiische Berichterstattung, und mehrere Schülerinnen aus den unteren Klassen wild mit den Händen winkten, stieß Lena mich an.
» Na?«, fragte sie aus dem Mundwinkel.
» Ich habe sie nach Hause gebracht«, murmelte ich. » Es geht ihr gut.«
» Colin nicht. Er war wütend, als ich ihm erzählt habe, dass du gegangen bist. Ganz gleich, was du sagst, du bist ihm nicht egal.«
Ich war ihm nicht egal; er war bloß störrisch. Ich war mir nicht sicher, was von beidem schlimmer war.
Petros’ Stimme unterbrach meine Gedanken. » Das, was man weiß, ist immer abgekoppelt von dem, was man beweisen kann. Ich schreibe vielleicht ein Zehntel von dem, was ich weiß, allerhöchstens.«
» Ist das nicht frustrierend?«, fragte ein Mädchen.
Er lachte. » Natürlich. Ich rackere mich die ganze Zeit ab, wühle schmutzige Wäsche durch und suche nach dem Beweis, den ich brauche. Doch irgendwann wird sich alles zusammenfügen. Es dauert vielleicht noch eine Weile, aber das macht es nur umso süßer.«
Lena flüsterte: » Geht es ihr wirklich gut?«
» Ja. Lebensmittelvergiftung.« Ich versuchte, leicht angewidert zu klingen, um weiteren Fragen vorzubeugen.
Lena glaubte mir kein Wort. » Klar.«
Petros kam zu unserem Tisch herüberspaziert, und wir blickten beide schuldbewusst auf. » Fragen wir doch unsere Chefredakteurinnen. Sagt mal, Mädels, geratet ihr in viele moralisch herausfordernde Situationen?«
» Bei der Schülerzeitung?«, fragte Lena. Die Fanfare war nun wirklich kein Blatt, das knallharte Investigativartikel druckte. Wir veröffentlichten Berichte über die Sportmannschaften, gemeinnützige Projekte und den Theaterclub.
» Bei der Zeitung, im Alltagsleben, wo auch immer. Ich kann mir vorstellen, dass bisweilen alles ziemlich undurchsichtig wird.« Er musterte mich genau, während er sprach, und ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her.
» Wir sind eine Schülerzeitung«, sagte Lena mit weit aufgerissenen braunen Augen. » Den undurchsichtigen Kram überlassen wir Leuten wie Ihnen.«
Er schwenkte zu Lena herum, die den Kopf zur Seite neigte und ihm ein ausdrucksloses Lächeln schenkte. Nach einem langen, unbehaglichen Augenblick drehte er sich um und wandte sich wieder an den gesamten Kurs. » Vergesst nicht, wenn ihr etwas drucken wollt, müsst ihr es beweisen. Wenn ihr tief genug grabt, stoßt ihr irgendwann auf die Wahrheit.«
Lena stieß mich leicht mit dem Stift an und zog die Nase kraus, um die Anspannung zu durchbrechen. Ich lächelte sie dankbar an.
Miss Corelli stand auf, ein wenig perplex, aber dennoch wohlgemut. Bestimmt hatte sie nicht mit einer solchen Rede, sondern eher mit Berufsfindungsratschlägen gerechnet. » Mädchen, wie wäre es mit einer Runde Applaus für Mr. Petros, zum Dank dafür, dass er sich bereiterklärt hat, heute mit uns zu sprechen?«
Wir applaudierten pflichtergeben, während Petros seinen Mantel und seine Aktentasche an sich nahm. » Ich lasse euch ein paar Visitenkarten da, für den Fall, dass ihr noch mehr Fragen habt.«
Auf dem Weg nach draußen blieb er noch einmal an unserem Tisch stehen. » Bitte schön«, sagte er und reichte jeder
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