Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
die Messe heute Abend.«
Ich war so auf die Blumen konzentriert, dass ich sie gar nicht gehen hörte. Ich suchte zwischen dem glänzenden Füllgrün und den übergroßen Blüten, aber meine Mutter hatte recht – keine Karte. Ich tastete in meiner hinteren Hosentasche nach der Zeichnung, die ich vorhin gefunden hatte, und zog sie heraus. Auf einmal kamen mir weder die Skizze noch der Blumenstrauß auch nur ansatzweise entzückend vor. War jemand in meinen Spind eingebrochen und hatte mir die Karte in die Tasche gesteckt? Ich dachte an Nick Petros zurück, den seltsam durchdringenden Blick, den er mir im Journalismuskurs zugeworfen hatte. Waren die Blumen von ihm? Er hatte mir seine Visitenkarte gegeben, vor den Augen des ganzen Kurses. Er hatte keinen Grund, sich so rätselhaft zu verhalten.
Und dann fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen. Der alter Knacker, den ich vor der Bibliothek umgerannt hatte, meine zu Boden gefallene Tasche, sein Beharren darauf, sie mir zurückzureichen. Er hatte die Gelegenheit gehabt, die Zeichnung in meiner Tasche zu verstecken. Ich habe gefunden, wen ich gesucht habe, hatte er gesagt.
Er hatte mich gemeint. Irgendwie hatte der alte Mann sich unbemerkt in St. Brigid eingeschlichen und mich gefunden. Er hatte mich auch hier aufgespürt, aber warum? War er ein Bogen? Einer von Billys Geschäftspartnern? Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sie versuchten, mir eine Nachricht zu übermitteln.
Die große Fensterscheibe des Slice erschien mir auf einmal bedrohlich – perfekt geeignet, mich auf den Präsentierteller zu setzen –, und ich kämpfte gegen den Drang, Colin anzurufen und ihn anzuflehen hereinzukommen. Wenn der alte Mann ein Bogen war, würde es mir mehr nützen, Luc von ihm zu erzählen. Colin würde Billy informieren, und ich würde das bisschen Freiheit, das ich hatte, verlieren. Schlimmer noch, Colin würde in den Bodyguard-Modus schalten und mir noch weiter entgleiten. Wenn der alte Mann mir zu demonstrieren versuchte, dass ich beobachtet wurde, sagte er mir damit nichts Neues. Seit Veritys Tod stand ich unter ständiger Beobachtung.
Ich steckte die Zeichnung wieder in meine Hosentasche und zwang mich dazu, mich natürlich zu verhalten. Bogen oder Flacher, ich wollte mir keine Furcht anmerken lassen. Stattdessen ging ich meine Tische ab, schenkte Kaffee nach und räumte Teller weg. Das Mädchen an der Theke war immer noch da und aß wie ein Spatz von seinem Apfelkuchen. Das Eis war geschmolzen, und sie zerdrückte die Kruste mit der Gabel zu einem Krusten-Apfel-Sahne-Matsch.
» Möchtest du, dass ich das abräume?«
Das Mädchen schaute überrascht aus haselnussbraunen Augen zu mir auf. » Ich hatte wohl einfach keinen Hunger.«
» Kein Problem. Noch Kaffee?« Der weiße Becher war leer, obwohl ich ihn aufgefüllt hatte, als ich hereingekommen war. Aber nach dem Zittern ihrer Hand zu urteilen … » Ich habe auch entkoffeinierten.«
» War das deine Mutter?« Sie nickte zur Küche hinüber.
» Ja. Es ist ein Familienunternehmen«, sagte ich und versuchte zu lächeln, während sich langsam Erschöpfung in mir breitmachte.
» Du bist Mo.«
Ich sah genauer hin. Rissige Lippen, ein unordentlicher, hellbrauner Pferdeschwanz und ein herausfordernder Unterton in der Stimme. Noch eine Botschaft von dem alten Knacker? Oder ein Spielzug der Seraphim?
Argwöhnisch strich ich mir mit dem Finger übers Handgelenk und fragte mich, ob sie meine Verbindung zu Luc spüren konnte. Wenn ja, dann würde sie vielleicht nicht sofort angreifen, nicht, wenn ich ihn so schnell zu mir rufen konnte.
Ich zeigte auf mein Namensschild aus Plastik. » Scheint so, oder?«
» Mo Fitzgerald.«
Ich stellte die Kaffeekanne auf die Theke. » Ich habe deinen Namen nicht verstanden.«
Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. » Jenny Kowalski«, sagte sie, hob den Kopf und versuchte, tapfer zu wirken. » Ich glaube, du hast meinen Vater gekannt.«
Oh, zur Hölle. Keine Magie, aber nichtsdestotrotz Ärger.
Kapitel 9
» Du bist Jenny?« Jetzt sah ich es auch selbst, an der Form ihrer Nase, an ihrer Haarfarbe, ein wenig auch um die Augen. Sie hatte das durchtrainierte, sehnige Äußere einer Langstreckenläuferin. Vielleicht hatte sie es von ihrer Mutter geerbt, denn Joseph Kowalski war ein kräftiger Kerl gewesen, dessen Muskeln in seinen zwanzig Jahren bei der Chicagoer Polizei zu Fett dahingeschmolzen waren.
Ich schluckte und sah auf die Theke hinab. » Es tut mir
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