Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
Vorteile. Er verschafft einem gute Gründe, sich aneinanderzukuscheln.«
Ich versetzte ihm nur einen leichten Rippenstoß, weil ich zu eifrig darauf bedacht war, die elegante Pracht der Gebäude, die lebhaften Farben und die kunstvollen Balkone mit ihren üppig blühenden Blumen in mich aufzunehmen. Es lag ein Geruch wie nach Vanille und Aprikosen in der Luft, als wir an einem glänzenden grünen Busch vorbeikamen. Ich blieb stehen und versuchte, den Duft der sternförmigen Blüten zu erhaschen, aber er war verschwunden.
» Das nützt nichts«, sagte Luc. » Das ist die Süße Duftblüte. Wenn man zu nahe herankommt, verschwindet der Geruch. Lass ihn zu dir kommen, statt ihm nachzujagen.«
Ich warf ihm einen finsteren Blick zu, und er hob beide Hände in gespielter Abwehr.
» Versuch es.«
Skeptisch trat ich ein paar Schritte zurück, schloss die Augen und atmete tief ein. Der Duft umhüllte mich so intensiv, dass es sich wie ein zärtliches Streicheln anfühlte. » Das ist unglaublich. So muss es im Himmel riechen.«
» Ich hab’s dir doch gleich gesagt. Schwer, die Lektion zu lernen, was?« Er führte mich über einen Platz, der auf allen vier Seiten von Hecken und Zäunen eingefasst war, vorbei am Reiterstandbild eines Mannes. Dahinter lag eine Kathedrale, deren drei Turmspitzen hoch in den Nachthimmel aufragten.
» Du nimmst mich mit in die Kirche?«
» Nicht direkt.«
Der Anblick erinnerte mich an meine Mutter. Wenn ich mir schon Sorgen gemacht hatte, dass mein Fehlen in der Schule auffallen würde, so war das nichts im Vergleich zu dem, was geschehen würde, wenn meine Mutter bemerkte, dass ich direkt vor ihrer Nase aus der Kirche verschwunden war. Und Colins Reaktion …
Ich entfernte mich ein Stück von Luc und klappte mein Telefon auf.
» Mouse, du wirst gleich mit den Quartoren ins Geschäft kommen. Das hier ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt.«
Ich ignorierte ihn und schrieb Colin eine SMS : Musste weg aus der Kirche. Du verpfeifst mich doch nicht?
» Seid ihr beide jetzt ein Paar? So richtig offiziell?«, fragte Luc. Sein Arm spannte sich unter meiner Hand an.
» Lass ihn aus dem Spiel.«
» Nur zu gern. Du bist doch diejenige, die ihn ständig mitzockeln lässt. Es ist immer netter, wenn wir nur zu zweit sind.«
Mein Handy klingelte wie erwartet. Aber ich überlegte es mir anders, nahm doch nicht ab und schob es stattdessen in die Tasche. » Ich rufe ihn an, wenn es vorbei ist.«
» Es ist noch lange nicht vorbei«, sagte Luc nicht unfreundlich. » Wenn du dir etwas anderes einredest, belügst du dich selbst.«
Kapitel 12
Magie war in vielerlei Hinsicht praktisch: Sie konnte einen binnen eines Augenblicks von einem Ende der Erde ans andere bringen, mit einer bloßen Berührung eine fast tödliche Verletzung heilen und Kreaturen abwehren, die einem die Gedärme herausreißen wollten. Aber besonders gut eignete sie sich dazu, Dinge zu verbergen. Die Bögen waren wahre Meister darin, und das Ergebnis war, dass nichts und niemand je ganz so war, wie es auf den ersten Blick schien.
Wir standen vor einer riesigen Kathedrale mit drei hoch aufragenden Turmspitzen. Als wir die Schwelle überschritten, erbebte die Luft, und das Kirchenschiff verschwand, um einen widerhallenden weißen Raum zu enthüllen. Es gab unter der hohen Decke keine Fenster, aber der Saal erstrahlte taghell von einem gewaltigen eisernen Leuchter über uns, der mit armdicken Kerzen übersät war. Der abstoßend süßliche Geruch von Bienenwachs lag in der Luft.
» Was ist das für ein Ort?«
» Das hier? Nur das Vorzimmer. Die Quartoren kommen dort hinten zusammen«, sagte er und wies auf die zweite Tür. » Bereit?«
Vermutlich nicht. Er hob eine Faust und klopfte. Das Geräusch klang tiefer, als ich erwartet hatte. Lucs Fingerknöchel hinterließen einen glühenden, rötlichen Abdruck im Metall, das wie überhitzter Stahl wirkte. Beim fünften Schlag öffneten sich die Türflügel so geschmeidig und stumm, als wären sie gut geölt. Luc trat ein, und ich folgte ihm.
Es war ein höhlenartiger Raum, in dem wie in einem Theater Sitzreihen übereinander angeordnet waren. Sie waren leer, bis auf die erste Reihe. Dort saß Marguerite allein mit einem Gesichtsausdruck heiterer Ruhe. Sie verfolgte den Klang unserer Schritte, als wir den schwarz-weiß gefliesten Mittelgang entlangkamen. An den Wänden flackerten lautlos Fackeln. Flache Stufen führten zu einer Bühne an der Vorderseite des Raums, wo Dominic, Orla und
Weitere Kostenlose Bücher