Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
sich auf das vorzubereiten, was mir bevorstand.
Kapitel 18
Ein unangenehmer, eiskalter Regen prasselte auf mich ein, als ich die Schule verließ, und ich rannte zum Truck. Das Stahlgrau des Himmels entsprach genau Colins Augenfarbe.
» War es ein guter Tag?«, fragte er, als er mir in den Wagen half.
» Nicht wirklich.« Ich streckte die Hände zu den uralten Heizungsschlitzen hinüber und atmete den Geruch gerösteten Staubs ein.
Er musterte mich. » Magie, oder?«
» Woher weißt du das?«
» Du gehst anders, wenn du einen Zusammenstoß mit der Magie hattest. So, als würdest du ein Glas Wasser tragen und befürchten, etwas zu verschütten, wenn du stolperst.«
Das war nicht gerade tröstlich. » Ich stolpere viel.«
Er reihte sich mit finsterer Miene in den Verkehr ein. » Ich weiß. Erzählst du mir davon?«
» Es ist Constance. Wir mussten ihr von der Magie erzählen. Das ist ein bisschen ausgeartet.«
» Und mit › wir‹ meinst du dich und Luc?«
» Und die Frau, die den Auftrag hat, Constance zu betreuen. Niobe. Sie arbeitet jetzt an der Schule.«
» Wie hat Constance es aufgenommen?«
Ich hob eine Schulter. » Ungefähr so gut, wie man erwarten konnte. Sie glaubt, dass Evangeline bei dem Versuch gestorben wäre, die Sturzflut aufzuhalten.«
» Und du hast sie in diesem Glauben gelassen.« Er zog eine Augenbraue hoch. » Das wird noch ein böses Ende nehmen. Früher oder später wird sie es herausfinden.«
» Vielleicht auch nicht.«
» Es ist schwer, die Wahrheit begraben zu halten.«
» Dir gelingt das doch«, sagte ich und kniff die Augen zusammen. » Vielleicht könntest du mir ein paar Tipps geben.«
» Mein Gott, Mo, fang nicht damit an.«
» Was? Du kannst nicht beides haben. Entweder ist es wichtig, anderen die Wahrheit zu sagen, und in dem Fall würde ich gern erfahren, was Billy gegen dich in der Hand hat. Oder aber es ist in Ordnung zu lügen, und dann habe ich nichts falsch gemacht.«
Er antwortete nicht. Nicht, dass ich damit gerechnet hätte. » Und sonst? Da war doch auch noch Schulkram?«
» Sie haben mir gedroht, mich aus der NHS zu werfen. Wenn das in meiner Bewerbung auftaucht …« Mir versagte die Stimme. » Dann werde ich nicht an der NYU aufgenommen.«
Er rieb einen Daumen über meine Fingerknöchel. » Das können wir wieder hinbekommen. Haben sie dir gesagt, was sie von dir erwarten?«
» Du wirst es mir nicht glauben.«
» Das Unglaubliche hast du mir doch schon erzählt«, sagte er, und ein Lächeln zuckte in einem seiner Mundwinkel.
» Ich muss beim Ball arbeiten.« Angesichts seines verständnislosen Gesichtsausdrucks fügte ich hinzu: » Beim Sadie-Hawkins-Ball.«
» Das ist ja nicht so schlimm. Du wolltest doch hin, nicht wahr?«
» Ich wollte mit dir hin, aber du hast kein Interesse daran.«
Er ließ meine Hand los. » Es ist kompliziert.«
» Nein, es ist sehr einfach. Dein Geheimnis zu wahren ist dir wichtiger, als mit mir zusammen zu sein. Das ist verletzend, Colin, nicht kompliziert.« Ich ballte im Schoß die Fäuste. Er hielt den Blick auf die Straße gerichtet.
» Du verstehst das nicht.«
» Weil du es mir nicht erklärst.«
» Und das werde ich auch nicht«, sagte er vollkommen endgültig und unnachgiebig wie ein Stein. » Ich hätte dich gestern nicht küssen sollen. Ich sollte dich überhaupt nicht küssen.«
Eine Sekunde lang spürte ich noch nicht einmal, wie sehr seine Worte mich trafen – so, wie wenn man einen Brotlaib aufschneidet und einem das Messer abrutscht. Man weiß, dass etwas nicht stimmt, und auch, dass man Schmerzen haben sollte, aber der Schreck hält einen betäubt, selbst wenn man zu bluten beginnt. Und dann legt sich der Schock.
Es war lange her, dass Colin zuletzt in diesem unerträglichen, lebensüberdrüssigen Ton mit mir gesprochen hatte, aber ihn zu hören, versetzte mich an den Tag zurück, an dem wir uns kennengelernt hatten und er mich » Kid« statt » Mo« genannt hatte, an dem er mich als verwöhntes Gör abgeschrieben und ich angenommen hatte, er sei ein hirn- und herzloser Schläger. Wenn er wirklich dachte, dass es solch ein Fehler gewesen war, mich zu küssen, hatten wir uns weniger verändert, als ich angenommen hatte.
» Dann lass es.«
» Mo …« Er parkte den Truck in der schmalen Straße hinter dem Slice und schaltete den Motor aus. Die Wärme in der Fahrerkabine verflog.
» Du hast gesagt, du würdest mich kennen.« Ich war zornig auf ihn, weil er mir nicht vertraute, zornig auf mich
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