Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
nicht gerade der Typ für einen Wellnessurlaub. Entweder versuchte sie auf Billys Befehl hin, mich aus der Stadt zu entfernen, oder …
» Wir könnten Daddy besuchen.«
» Nein.« Meine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, ein Reflex, den ich mir über die letzten vier Jahre angeeignet hatte.
Sie runzelte die Stirn. » Aber er möchte uns sehen, damit wir die gute Nachricht feiern können.«
Es gelang mir, mich davon abzuhalten, sie darauf hinzuweisen, dass nicht jeder seine vorzeitige Entlassung für eine gute Nachricht hielt. » Ich fahre nicht nach Terre Haute, Mom.« Bevor sie fragen konnte, warum, antwortete ich schon mit dem einzigen Grund, den sie akzeptieren würde. » Du weißt, dass sie uns vor Thanksgiving immer mit einem Haufen Arbeit zuschütten.«
Sie strich sich das Haar in den Knoten zurück und zog eine enttäuschte Schnute. » Aber es kommt mir unfair vor, ihn bis zu den Ferien warten zu lassen.«
» Es tut mir leid.« Ich hätte nicht unehrlicher sein können, wenn ich versucht hätte, ihr einen Gebrauchtwagen anzudrehen, aber ihre Laune besserte sich merklich, als ich es sagte.
» Wir könnten dieses Wochenende fahren«, schlug sie vor. » Ein schneller Ausflug.«
» Ich kann nicht. Ich muss beim Ball arbeiten, erinnerst du dich?« Wie viele Ausreden musste ich mir denn noch einfallen lassen?
Sie zögerte kurz, fing sich dann aber wieder. » Schwester Donna würde es sicher verstehen, wenn wir irgendeine andere Möglichkeit für dich finden würden, dich ehrenamtlich zu betätigen. Das hier ist eine Familienangelegenheit!«
Vielleicht, aber ich hatte nicht vor, das Risiko einzugehen. » Hast du eine Ahnung, wie undankbar ich wirken würde? Sie haben mir eine zweite Chance gegeben – die kann ich nicht in den Wind schlagen.«
» Aber ich habe es deinem Vater versprochen.«
» Dann fahr doch hin und besuch ihn.«
Sie runzelte die Stirn. » Ich lasse dich nicht gern allein.«
» Ich bin nie allein. Ich habe einen Leibwächter. Und eine sehr teure Alarmanlage.« Nicht, dass ich vorgehabt hätte, in den nächsten, sagen wir, fünfzig Jahren auch nur mit meinem Bodyguard zu sprechen. » Du kannst hinfahren, wenn du willst. Aber ich bleibe hier.«
» Wir werden sehen«, sagte sie. » Schwester Donna würde es wahrscheinlich nicht zu schätzen wissen, wenn du dich vor deiner Verpflichtung drückst. Es ist wichtig, dass sie weiß, dass du immer noch das verlässliche, vernünftige Mädchen bist, das du früher warst. Und wir könnten immer noch an einem anderen Wochenende hinfahren. Vielleicht nach Weihnachten. Es ist vielleicht sinnvoller, zwischen den Semestern zu fahren.«
Ich sah zu, wie sie sich einredete, dass sie nicht ganz verloren hatte – sie hatte einen Weg gefunden, die Alternative zu wollen. Darin war sie im Laufe der Jahre richtig gut geworden.
Am Ende nickte sie. » Ich denke darüber nach.«
» Prima.« Als ich meinen Platz hinter der Theke einnahm, zauberte ich ein Lächeln auf mein Gesicht. Ein breiteres Lächeln bedeutete ein höheres Trinkgeld, und höhere Trinkgelder waren gleichbedeutend mit mehr Geld für den New-York-Fonds. Außerdem wusste ich, dass Colin mich durchs Fenster beobachtete, und ich wollte, dass er ganz genau sah, wie glücklich ich ohne ihn war.
Kapitel 19
Eine Stunde später verging mir das Lächeln, als Jenny Kowalski hereinkam, eingemummelt in ihre North-Face-Jacke. Ich stand hinter der Theke und rollte Besteck in Servietten ein. Ich schaute ganz eindeutig nicht aus dem Fenster zu Colin.
» Ich dachte mir schon, dass ich dich hier treffen würde«, sagte sie und drehte ihre Kaffeetasse um. Ich füllte sie mit entkoffeiniertem Kaffee, ohne erst zu fragen, welche Sorte sie wollte. Wenn es irgendjemanden auf der Welt gab, der dringend weniger Koffein zu sich nehmen sollte, dann Jenny.
» Was willst du?«
» Ich habe die gute Nachricht gehört. Herzlichen Glückwunsch.«
» Die gute Nachricht?«
» Über deinen Vater.« Sie kippte drei Zuckertütchen in ihren Kaffee. » Es muss schön sein, einen Vater zu haben, der nach Hause kommt.«
Ich atmete langsam aus und rollte die Schultern. » Kannst du mir einen Gefallen tun? Sag mir entweder, was du hier machst, oder geh wieder.«
Sie spielte mit der Speisekarte herum. » Ich habe dir doch gesagt, dass du dir deine Familie ansehen sollst. Hast du das getan?«
» Ich war ziemlich beschäftigt«, erwiderte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, » und ich muss noch andere
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