Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
Bogenkram. Es ist wirklich nichts, wobei du mir helfen kannst.« Ich hob meine Tasche auf und öffnete die Tür.
Er hielt mich am Ärmel fest. » Ich würde es dennoch gern wissen.«
Die Ironie entging mir nicht, aber ich riss mich los. » Etwas Wichtiges in meinem Leben, und ich erzähle dir nichts davon? Das muss ja richtig beschissen sein.«
Die Schulstunden verliefen ereignislos. Es war das Übliche – Jill McAllister und ihren spitzen Bemerkungen aus dem Weg gehen, verstohlen nachsehen, wie es Constance ging, sichergehen, dass ich mich ausreichend am Unterricht beteiligte, Lenas neugierige Fragen über Colin und Luc abwehren –, aber keine verdächtige Gestalt versuchte, sich mir zu nähern. Nichts Ungewöhnliches, es sei denn, es zählte, dass ich in der Cafeteria die letzte Portion Salat ergatterte. Als ich Schulschluss hatte und nach draußen ging, hatte ich Colins Treffen mit meinem Onkel schon ganz vergessen.
Aber als ich den Hof überquerte, erinnerte mich Colins Gesichtsausdruck schnell wieder daran.
Er starrte finster durchs Truckfenster, während ich Lena zuwinkte. Als ich mich dann anschnallte, trommelte er frustriert auf dem Steuerrad herum. Sogar der Klang des startenden Motors wirkte zornig.
Als ich seine düstere Miene keine Sekunde länger ertragen konnte, warf ich die Hände in die Luft. » Was?«
» Sag mir, dass du nicht Marco Forelli die Stirn geboten hast.«
Ich blinzelte. » Wow. Das ist so gar nicht die Reaktion, mit der ich gerechnet habe.«
» Mit was für einer Reaktion hast du denn gerechnet, als du einfach ins Morgan’s spaziert und frech zu deinem Onkel und seinem Boss gewesen bist? Um dann noch nach Informationen über mich zu stochern? Bitte sag mir, dass du nicht ernsthaft davon ausgegangen bist, dass Billy reden würde. Sag mir, dass du nicht so naiv bist.«
» Natürlich nicht. Aber niemand sagt jemals, was er wirklich denkt. Ich dachte, wenn ich Billy überrumpeln würde …«
» Dass er was tun würde? Dir all meine tiefsten, dunklen Geheimnisse offenbaren? Meine Geheimnisse, Mo. Meine. Mein Gott!«
» Es tut mir leid.«
» Hör auf, mich zu bedrängen. Wenn ich dir davon erzählen wollte, würde ich es tun.« Er atmete schnaufend aus und umfasste das Steuerrad fester. » Marco Forelli sollte dir größere Sorgen bereiten. Wenn er Interesse an dir hat, dann weil er glaubt, dass du nützlich bist.«
» Nützlich in welcher Hinsicht?«
» Das werde ich noch herausfinden«, sagte er. » Hör auf, mit Billy über mich zu reden.«
» Abgemacht.« Den Rest der Fahrt über herrschte drückendes Schweigen, aber als er vor dem Slice einparkte, fragte ich: » Was ist mit Ekomow?«
» Wenn er dir etwas hätte antun wollen, hätte er es mittlerweile getan. Wir lassen den Dingen ihren Lauf und warten ab, worauf er es abgesehen hat.«
» Habt ihr schon eine Vermutung?«
» Keine, von der ich dir erzählen möchte.«
» Kein Wunder«, sagte ich und ging hinein.
» Mo!«, rief meine Mutter erleichtert, als sie mich erspähte. » Endlich!«
» Mom, ich komme bloß drei Minuten zu spät.« Im Slice schien nicht mehr los zu sein als sonst, aber sie war eindeutig kurz davor, in Panik zu geraten. Ich suchte den Raum nach einem Hinweis auf die Gründe dafür ab.
Sie klemmte sich das schnurlose Telefon zwischen Schulter und Ohr. » Du musst für mich die Lieferung rüber ins Shady Acres bringen. Der Computer funktioniert nicht richtig, und ich telefoniere schon seit einer Stunde mit jemandem vom technischen Support, und jetzt haben sie mich in die Warteschleife geschickt.«
» Vielleicht kann ich ihn reparieren.«
» Es hat etwas mit der Festplatte zu tun und einem Ordner und …« Sie fuchtelte konfus mit den Händen in der Luft herum. Wenn sie gekonnt hätte, hätte meine Mutter für die Buchführung ein Hauptbuch aus Papier benutzt, aber irgendwann war es Billy gelungen, sie ins einundzwanzigste Jahrhundert zu schleifen. » Ich verstehe nichts davon, aber wenn ich nicht hier bin, wenn sie mich wieder durchstellen, muss ich ganz von vorn anfangen. Bitte widersprich nicht, bring einfach schnell die Lieferung hin. Du hast das doch schon oft gemacht.«
» Ungern.« Man konnte das Shady Acres noch so oft als » betreutes Wohnen« bezeichnen, in Wirklichkeit war es die letzte Haltestelle vor dem Pflegeheim. Es war nicht schattig dort. Es stand nicht auf einem Acker. Und ich hatte nicht die Nerven, ausgerechnet heute so liebenswürdig mit den Bewohnern zu plaudern, wie ich es
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