Der Weg in Die Schatten
trennen.«
Iron Mike ließ Tigers Handgelenk los und hob sein Bier in einer langsamen, glatten Bewegung. Tiger bemerkte sofort, daß sein Partner in den ›Trouble‐Modus‹ gewechselt hatte, und wandte sich dem Nischeneingang zu. Vier Jugendliche kamen quer durch die Kneipe auf sie zu. Ihr Anführer, eine ausgemergelte Bohnenstange, hatte sich noch grauslicher als Pia zu den hiesigen Kürbislaternen passend herausgeputzt.
Das schwarze Make‐up um den Mund verlieh dem finsteren Gesicht einen klotzigen Ausdruck und verdeckte die schmalen Lippen.
Obwohl sie beide auch zu den Halloweenern gehörten, spürte Tiger genau wie sein Partner, daß diese vier nicht hier waren, um sie als Freunde zu begrüßen. Sie sind steif und angespannt, als rechneten sie mit einem Kampf. Tiger machte eine große Show daraus, wie er die Flasche mit der Linken an die Lippen hob, während sich die Rechte verstohlen nach unten schlängelte und die Schrotflinte aus dem Halfter zog.
Mit einem krampfartigen Ruck des Kopfes schleuderte Charles der Rote das strähnige Haar aus dem Gesicht. »Was macht ihr beide denn hier?« Er vermittelte ganz den Eindruck, als würde er jeden Augenblick auf sie spucken, aber das lag nur an der in seinen Zügen erstarrten Verachtung.
Der Blick von Mikes grünen Augen fuhr über die Vogelscheuche von einem Mann hinweg und zuckte dann nacheinander zu dessen drei Untergebenen. »Nun, Charles, es will mir scheinen, als würden wir hier ganz entspannt einen trinken. Wenn ich dir jetzt so in die Augen schaue, habe ich das Gefühl, daß was nicht stimmt, oder was ist?«
Charles rieb sich mit einem Finger die Knochenbeule, die er von einem Nasenbruch zurückbehalten hatte. »Yeah. Wir dulden die Leute von Doc Raven nicht hier drin. Raus mit euch!«
Mike blickte hinüber zu Tiger und lachte, aber Tiger machte ein finsteres Gesicht. Aus Respekt vor dem Partner bezähmte Mike seine Heiterkeit und durchbohrte Charles mit einem häßlichen Blick. »Red langsam mal was Vernünftiges oder verzieh dich! Ihr verbraucht nicht nur das letzte Bißchen gute Luft hier drin, sondern wir haben hier auch eine geschäftliche Verabredung. Ravens Leute sollen wir sein, ja? Wovon, zum Teufel, redest du eigentlich?«
Der Anführer der Halloweener verschränkte die Arme auf der Brust. »Auf der Straße wird erzählt, ihr hättet Wolfgang Kies und Raven dabei geholfen, eine Elfenprinzessin vor LaPlantes Gang zu retten. Kies ist unser Todfeind und für Raven gilt dasselbe. Wenn ihr für sie arbeitet, gehört ihr zu denen. Wir wollen Ravens Chummers nicht hier drin sehen, kapiert?«
Tiger bemerkte so gut wie nichts von Mikes Lachen, während sich die Wut in ihm aufstaute. Mike klatschte die flache Hand auf den Tisch. »Hast du das gehört, Tiger?
Charles meint wir hätten die Halloweener verlassen und würden zu Ravens Gruppe gehören. Ha!«
»Ihr habt deren Geld genommen …«
Mike wand sich hin und her, um beide Schultern vom Mantel zu befreien. »Siehst du vielleicht einen Raven‐Sticker auf dieser Jacke oder auf Tigers Mantel? Wir haben schon von allen möglichen Leuten Geld genommen, sind dadurch aber nicht ihren Organisationen beigetreten. Unsere Chummers von RJR Nabisco‐Sears haben uns auch nicht zu Punsch und Keksen eingeladen, obwohl wir einen Job für sie erledigt hatten.«
Iron Mikes Stimme sank auf einen etwas bedrohlicheren Tonfall herab. »Ich möchte dich auch auf eins hinweisen, Boyo: Wenn du vorher mit deinem Schatzmeister geredet hättest, wüßtest du, daß wir von den Nuyen, die Wolf uns gezahlt hat, dir das Gang‐Zehntel gegeben haben.«
Charles grinste höhnisch auf die beiden Straßensamurai hinab. »Wir nehmen kein Geld von Messerstechern aus Ravens Gang!«
»Jetzt reicht’s!« Tiger drehte sich um und schob sich aus der Nische, eine Bewegung voller Grazie und Schnelligkeit, die an eine über Wüstendünen hinweghuschende Sidewinder erinnerte. Ehe Charles reagieren konnte, rammte ihm Tiger die Mündung des Doppellaufs unters Kinn. »Jetzt sperr mal die Lauscher auf, du Hundekotze! Wir haben einen Job für Raven erledigt, weil das Geld okay war. Wir sind bezahlt worden, und das war’s dann. Keine Verbindungen sonst, keine Verpflichtungen. Basta!«
Tiger drückte mit der rechten Hand von unten gegen Charles’ Schlüsselbein und schubste ihn zwischen seine Gefolgsleute zurück. Fünfunddreißig Zentimeter lange Krallen schossen aus Charles Fingern hervor, während seine Arme zuckten, aber die
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