Der Weg in Die Schatten
wusste es dann noch?
Master Blint war bereits fort. Kylar würde sich mit Jarl treffen müssen. Er würde sich allein um diese Angelegenheit kümmern müssen.
»Ich muss gehen«, erklärte er. Er drehte sich um und schritt auf das Tor zu.
»Kylar!«, rief Logan.
Kylar blickte über die Schulter. »Vertraust du mir?«, fragte er.
Logan hob hilflos die Hände. »Ja.«
»Dann vertrau mir.«
Der Blaue Eber war eins von Momma Ks hübschesten Bordellen. Es lag auf dem Ostufer in einer Nebenstraße des Sidlinwegs, nicht weit entfernt von der Tomoi-Brücke. Es stand in dem Ruf, einige der besten Weine in der Stadt zu lagern, eine Tatsache, die nicht wenige Kaufleute erwähnten, wenn ihre Ehefrauen ihnen peinliche Fragen stellten. »Eine Freundin hat mir erzählt, sie habe dich heute in den Blauen Eber gehen sehen.« - »Ja, natürlich, Liebes. Geschäftsbesprechung. Wunderbare Weinkarte.«
Es war Kylars erster Besuch. Das Bordell hatte drei Stockwerke. Das Erdgeschoss, in dem Speisen und Wein serviert wurden, ähnelte einem hübschen Gasthaus. Ein Schild wies die zweite Etage als den »Salon« aus und die dritte als »Gästezimmer.«
»Hallo, Mylord«, erklang eine rauchige Stimme neben Kylar, als er unbeholfen direkt hinter der Tür stehen blieb.
Er drehte sich um und spürte, wie ihm die Hitze in die Wangen schoss. Die Frau stand sehr dicht neben ihm, so dicht, dass der würzige Duft ihres Parfüms ihm entgegenwehte. Ihre Stimme klang leise und einladend, als teilten sie Geheimnisse oder könnten es schon bald tun. Aber das war nichts im Vergleich zu ihrer Kleidung. Er hatte keine Ahnung, ob man es als Kleid bezeichnen würde, denn obwohl es sie vom Hals bis zu den Knöcheln bedeckte, war es zur Gänze aus weißer Spitze gemacht, und sie trug nichts darunter.
»Wie bitte?«, fragte er, zwang sich, ihr in die Augen zu sehen, und errötete noch heftiger.
»Kann ich Euch irgendwie helfen? Möchtet Ihr, dass ich Euch ein Glas sethischen Rotwein bringe und Euch unsere Palette von Dienstleistungen erkläre?« Seine Schwierigkeiten schienen sie zu erheitern.
»Nein, vielen Dank, Mylady«, erwiderte er.
»Vielleicht würdet Ihr ja lieber in den Salon kommen, damit wir uns... ungestörter unterhalten können«, sagte sie und strich ihm mit dem Finger übers Kinn.
»Tatsächlich würde ich, ähm, es vorziehen, das nicht zu tun. Aber trotzdem vielen Dank.«
Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, als hätte er etwas Teuflisches vorgeschlagen. »Normalerweise schätze ich es, wenn ein Mann mich zuerst ein wenig aufwärmt, aber wenn Ihr gleich auf mein Zimmer gehen wollt, würde ich -«
»Nein!«, sagte Kylar und begriff dann, dass er die Stimme erhoben hatte, weil sich einige Leute zu ihm umdrehten. »Ich meine, nein Danke. Ich bin hier, um mit Jarl zu sprechen.«
»Oh, Ihr seid einer von denen«, erwiderte sie, und ihre Stimme nahm abrupt einen normalen Klang an. Die Veränderung war total. Kylar bemerkte zum ersten Mal, dass sie nicht einmal in seinem Alter war. Sie konnte nicht älter sein als siebzehn. Unwillkürlich dachte er an Mags, Serahs nächstjüngere Schwester. »Jarl ist in der Amtsstube. Hier entlang«, fügte sie hinzu.
Jetzt, da sie den Versuch, ihn zu verführen, aufgegeben hatte, sah Kylar sie in einem anderen Licht. Sie sah hart aus, brüchig. Als er davonging, hörte er sie sagen: »Scheint so, als würden die Gutaussehenden immer die andere Furche beackern.«
Er wusste nicht, was sie meinte, doch er ging weiter, ein wenig besorgt, weil sie über ihn gelacht hatte. Er hatte auf seinem Weg zur Amtsstube bereits die Hälfte der Tische hinter sich gelassen, als er sich umdrehte. Sie kam gerade mit einem älteren Kaufmann ins Geschäft und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Mann strahlte.
Kylar klopfte an die Tür der Amtsstube.
Die Tür wurde geöffnet. »Komm herein, schnell«, sagte Jarl.
Kylar, dessen Geist in Aufruhr war, trat ein. Jarl - denn es war zweifellos sein alter Freund - war zu einem gutaussehenden Mann herangewachsen. Er war tadellos und nach der neuesten Mode gekleidet, seine Robe indigofarbene Seide, seine Hose eng anliegendes Rehleder und geschmückt mit einem Gürtel aus behauenem Silber. Jarls dunkles Haar war zu einer Vielzahl kleiner, langer Zöpfe geflochten, ein jeder eingeölt und zurückgebunden. In seinen Augen lag ein anerkennender Ausdruck.
Aus der Ecke war das leise Geräusch von Tuch auf Tuch zu hören. Jemand näherte sich Kylar von jenseits seines
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