Der Weg in Die Schatten
können ein Geheimnis hüten, pflegte Blint zu sagen, wenn einer von ihnen tot ist. Kylar kannte den Jarl von heute nicht. Er leitete eins von Momma Ks Bordellen,
daher musste er ihr gewiss Bericht erstatten, aber vielleicht erstattete er auch anderen Bericht.
Es war zu gefährlich. Kylar konnte es ihm nicht sagen. Beziehungen sind Seile, die binden. Liebe ist eine Schlinge. Das Einzige, was Kylars Sicherheit garantierte, war der Umstand, dass niemand wusste, dass es eine Schlinge mit seinem Namen darauf gab. Selbst er wusste nicht, wo Elene war. Sie war irgendwo auf der Ostseite in Sicherheit. Inzwischen vielleicht verheiratet. Schließlich würde sie jetzt siebzehn Jahre alt sein. Vielleicht war sie sogar glücklich. Sie wirkte glücklich, aber er schlich sich nicht einmal an sie heran. Master Blint hatte recht. Das Einzige, was Elene Sicherheit gewährte, war der Abstand, den Kylar wahrte.
Jarls Schuld war nicht genug, um schwerer zu wiegen als Elenes Sicherheit. Nichts war genug. Verdammt, Master Blint, wie könnt Ihr so leben? Wie könnt Ihr so stark sein, so hart?
»Ich habe deswegen niemals einen Groll gegen dich gehegt«, sagte Kylar. Es war jämmerlich. Er wusste, dass es nicht helfen würde, aber mehr hatte er nicht zu bieten.
Jarl blinzelte, und als er Kylar in die Augen sah, waren seine dunklen Augen trocken. »Wenn das alles wäre, hätte ich dich niemals gebeten herzukommen. Durzo Blint hat Feinde, und du hast ebenfalls welche.«
»Das ist nicht direkt etwas Neues«, erwiderte Kylar. Auch wenn er und Blint niemals über ihre Aufträge redeten und jeder, der aus erster Hand von ihrer Arbeit wusste, tot war, sprachen sich die Dinge doch herum. Sie sprachen sich immer herum. Ein anderer Blutjunge schrieb ihnen einen bestimmten Auftrag zu. Ein Kunde prahlte damit, wen er engagiert hatte. Sie hatten Feinde, denen sie Unrecht getan hatten, und noch mehr Feinde, die nur glaubten, Durzo hätte ihnen Unrecht getan. Es war der Preis dafür, der Beste zu sein. Die Familien ihrer ›Leichen‹
schrieben eine erfolgreiche Tat niemals einem zweitklassigen Blutjungen zu.
»Erinnerst du dich an Roth?«
»Einer der Großen von Ratte?«, fragte Kylar.
»Ja. Anscheinend ist er klüger, als uns je bewusst war. Nach Rattes Tod... nun ja, alle sind fortgegangen, als brenne die Gilde nieder. Die anderen Gilden haben unser Territorium übernommen. Alle mussten zusehen, dass sie irgendwie überlebten. Roth hatte sich keine Freunde gemacht, während er Rattes rechte Hand war. Er wäre ein halbes Dutzend Mal beinahe getötet worden. Anscheinend hat er die Schuld dafür immer bei dir gesucht.«
»Bei mir?«
»Weil du Ratte getötet hast. Wenn du ihn nicht getötet hättest, hätte es niemand gewagt, Roth ins Visier zu nehmen. Auch er hat nie geglaubt, dass du tot bist, aber er war nicht in der Position herauszufinden, zu wem du geworden bist. Das ändert sich jetzt.«
Kylar wurde eng ums Herz. »Weiß er, dass ich lebe?«
»Nein, aber er wird in Jahresfrist zu den Neun gehören, vielleicht schon früher. Es ist im Augenblick ein Platz unter ihnen frei, um den er sich bewirbt. In einer solchen Machtposition wird er dich finden. Ich bin ihm nie begegnet, aber die Geschichten, die ich höre... Er ist ein echter Mistkerl. Grausam. Rachsüchtig. Er macht mir Angst, Kylar. Er macht mir Angst, wie das niemand mehr getan hat seit... du weißt schon wer.«
»Das ist also der Grund, warum du mich hierher eingeladen hast? Damit du mir sagen konntest, dass Roth hinter mir her ist?«, fragte Kylar.
»Ja, aber es steckt noch mehr dahinter«, antwortete Jarl. »Es wird einen Krieg geben.«
»Krieg? Moment mal. Welche Rolle spielst du bei dem Ganzen, Jarl? Wie ist es möglich, dass du all das weißt?«
Jarl zögerte und sagte dann: »Du hast die letzten zehn Jahre unter Master Blints Obhut verbracht. Ich habe die letzten zehn Jahre unter Momma Ks Obhut verbracht. Und geradeso, wie du mehr als kämpfen gelernt hast, habe ich mehr gelernt als... Unzucht zu treiben. Die Geheimnisse dieser Stadt fließen durch ihre Schlafgemächer.« Jetzt sprach Momma K aus ihm, das stand fest.
»Aber warum hilfst du mir? Es hat sich eine Menge verändert, seit wir Gilderatten waren und Brot gestohlen haben.«
Jarl zuckte die Achseln und wandte wieder den Blick ab. »Du bist mein einziger Freund.«
»Klar, als wir Kinder waren -«
»Nicht nur damals. Du bist noch immer der einzige Freund, den ich jemals hatte, Kylar.«
Kylar, der versuchte,
Weitere Kostenlose Bücher