Der Weg in Die Schatten
wenn das ganze Verlöbnis mit Ilena für dich keinen Reiz hat. Dies würde dir Zeit verschaffen, Kylar. Zeit, um herauszufinden, was du mit deinem Leben anfangen willst. Es durchschneidet deine Fesseln. Mach dich frei von ihnen .«
Frei. Ausgeschieden aus dem Dienst der Sa’kagé. Es war die nobelste Geste, von der Kylar je gehört hatte - und nach der vergangenen Nacht war es zu spät.
Kylar blickte zu Boden und nickte. »Es wird nicht funktionieren, Herr. Es tut mir leid. Glaubt mir, es tut... Ihr wart mehr als gütig zu mir. Viel gütiger, als ich es verdiene. Aber ich glaube nicht, dass das...« Er deutete mit dem Kopf auf das Picknick, das Logan und Serah miteinander teilten. »... etwas für mich ist.«
»Ich weiß, dass du vorhast, fortzugehen, Kylar.«
Das war der Graf. Er kam gleich zur Sache. »Ja, Herr«, erwiderte Kylar.
»Bald?«
»Ich hatte vor, bereits fort zu sein.«
»Dann hat der Gott mich vielleicht dazu getrieben, jetzt mit dir zu sprechen. Ich nehme an, Durzo hat dir gesagt, du sollst nicht auf meine Predigten hören?« Graf Drake blickte aus dem Fenster, und seine Stimme klang bekümmert.
»Er hat gesagt, wenn ich Euch glaubte, würde mich das töten.«
»Ich nehme an, das ist eine akzeptable Feststellung«, erwiderte Graf Drake. Dann drehte er sich um und sah Kylar an. »Er hat früher für mich gearbeitet.«
»Wie bitte? Durzo?«
Dies wurde mit einem kleinen Lächeln quittiert.
»Bevor er ein Blutjunge war?« Kylar konnte sich kaum vorstellen, dass es eine Zeit gegeben hatte, bevor Durzo Blint ein Blutjunge gewesen war, obwohl es wohl so sein musste.
Der Graf schüttelte den Kopf. »Nein. Er hat für mich Menschen getötet. Auf diese Weise haben wir einander kennengelernt. Und deshalb wusste er auch, dass er dich mir anvertrauen konnte. Durzo hat außerhalb seiner Arbeit keinen besonders großen Bekanntenkreis, musst du wissen.«
»Ihr? Ihr habt Morde angeordnet?«
»Nicht so laut. Meine Frau weiß Bescheid, aber es besteht keine Notwendigkeit, die Zimmermädchen zu erschrecken. Ich habe versucht, nicht mit Worten zu dir zu predigen, sondern vielmehr mein Leben bezeugen zu lassen, was ich weiß, Kylar. Aber vielleicht war das ein Fehler. Ein Heiliger hat einmal gesagt: ›Predigt zu allen Zeiten. Wenn nötig, benutzt Worte.‹ Würdest du mir eine Minute deiner Zeit schenken?«
Ein Teil von ihm wollte nein sagen. Es war nicht nur die Peinlichkeit, jemandem, den man respektierte, zuzuhören, wie er versuchte, einem etwas zu verkaufen, von dem man wusste, dass man es nicht kaufen würde, sondern Kylar lebte außerdem von geborgter Zeit. Es schien, als könnte nun jeden Augenblick die Nachricht eintreffen, die Kylar für den Diebstahl der vergangenen Nacht verantwortlich machte, und dann würde dieses ganze hübsche Bild zerplatzen wie eine Blase. Logan würde ihn als das erkennen, was er war. Serah würde eine weitere Gelegenheit bekommen, ihm zu zürnen. Der Graf würde diesen enttäuschten Gesichtsausdruck zeigen, der bis auf die Knochen schmerzte. Kylar wusste, dass der Graf von ihm enttäuscht sein würde, dass er niemals wirklich erfahren würde, wie viel Gutes Kylar in der vergangenen Nacht getan und welchen Preis er dafür gezahlt hatte. Der Graf würde enttäuscht sein, ganz gleich, was Kylar jetzt tat, aber Kylar brauchte es nicht mit anzusehen.
»Natürlich«, sagte er. Es war die richtige Antwort. Dieser Mann hatte Kylar großgezogen, hatte ihm ein Leben ermöglicht,
das für eine Gilderatte zu leben unmöglich war. Kylar war es ihm schuldig.
»Mein Vater hat ein großes Vermögen von seinem Vater geerbt, so groß, dass er mit Gordin Graesin, Brand Wesseros und Darvin Makell verkehrte - ich schätze, du weißt nichts über die Makells, sie wurden im Achtjährigen Krieg ausgelöscht. Wie dem auch sei, er versuchte, diese Söhne von Herzögen zu beeindrucken, indem er mit Geld um sich warf. Üppige Feste, Glücksspiele, das Anmieten ganzer Bordelle. Es half auch nicht, dass sein eigener Vater starb, als er noch jung war. Natürlich geriet unsere Familie bald in Armut. Mein Vater hat sich das Leben genommen. Also übernahm ich im Alter von neunzehn Jahren die Kontrolle über ein Haus am Rande des Ruins. Ich hatte einen guten Kopf fürs Geschäft, aber ich fand, es sei unter meiner Würde. Wie viele, die keinen Grund für Stolz haben, machte mich eben dieser Mangel an Grund noch stolzer.
Aber gewisse Realitäten haben die Neigung, sich bemerkbar zu machen, und
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