Der Weg in Die Schatten
während seine Augen sich verdrehten, bis nur noch das Weiße darin zu sehen war.
Neben ihm brach Lord Ruel, ein Mann, den der König immer gehasst hatte, plötzlich zusammen. Er fiel mit dem Gesicht auf seinen Teller und blieb reglos liegen.
Der König lachte. Agon drehte sich zu ihm um. Der König schaute nicht einmal zu Lord Ruel hinüber, doch der Zeitpunkt hätte schlimmer nicht sein können.
Jemand rief: »Wir sind vergiftet worden!«
»Der König hat uns vergiftet!«
Agon wandte sich um, um zu sehen, wer gerufen hatte, aber er konnte es nicht erkennen. Hatte ein Diener es gesagt? Gewiss würde kein Diener es wagen.
Eine andere Stimme fiel in den Ruf ein: »Der König! Der König hat uns vergiftet!«
Lachend sprang der König auf und stolperte trunken umher. Er schrie Obszönitäten, während in der Großen Halle das Chaos
ausbrach. Stühle knarrten, als Edelleute aufstanden. Einige von ihnen taumelten und fielen. Ein alter Lord erbrach sich auf seinen Teller. Eine junge Dame fiel zu Boden und übergab sich.
Agon war aufgesprungen und rief den Soldaten Befehle zu.
Die Nebentür am Kopf des Tisches wurde aufgerissen, und ein Mann in Gyre-Livree kam herein; er hielt die Hände hoch, zum Zeichen, dass er unbewaffnet war. Seine Livree war zerrissen und blutig. Eine Schnittwunde blutete neben seinen Augen, und Blut strömte ihm übers Gesicht.
Gyre-Livree? Keiner von Logans Dienern war heute Abend zugegen.
»Verrat!«, rief der Diener. »Hilfe! Soldaten versuchen, Prinz Logan zu ermorden! Die Soldaten des Königs versuchen, Prinz Logan zu ermorden! Wir sind in der Minderzahl. Bitte, helft uns!«
Agon wandte sich den Wachen des Königs zu und zückte sein Schwert. »Da muss ein Irrtum vorliegen. Du, du und du, kommt mit mir.« Dann richtete er das Wort an den blutenden Boten: »Kannst du uns zu ihm führen -«
»Nein!«, brüllte der König, dessen Gelächter auf der Stelle in Zorn umschlug.
»Aber Sire, wir müssen ihn beschützen -«
»Ihr werdet meine Männer nicht nehmen. Sie werden hierbleiben! Und Ihr auch, Brant! Ihr gehört mir. Mir! Mir!«
Agon schien es, als sehe er den König zum ersten Mal. Er hatte in Aleine IX. so lange ein abscheuliches, boshaftes Kind gesehen, dass er vergessen hatte, was ein abscheuliches, boshaftes Kind mit einer Krone tun konnte.
Agon sah die Wachen des Königs an. Abscheu stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Er konnte erkennen, dass sie darauf brannten, davonzueilen, um Logan zu verteidigen, ihren Prinzen, aber
die Pflicht verbot es ihnen, ihrem König den Gehorsam zu verweigern.
Logan, ihr Prinz.
Plötzlich war alles so einfach. Pflicht und Begehren wurden zum ersten Mal seit Jahren eins. »Hauptmann Arturian«, blaffte Agon mit seiner Kommandantenstimme, so dass jeder königliche Wachposten ihn hörte. »Hauptmann! Was ist Eure Pflicht, wenn der König stirbt?«
Der untersetzte Mann blinzelte. »Herr! Meine Pflicht wäre es, den neuen König zu beschützen. Den Prinzen.«
»Lang lebe der König«, sagte Agon.
Der König starrte ihn verwirrt an. Seine Augen weiteten sich, als Agon mit dem Schwert ausholte.
Aleine steckte mitten in einem Fluch, als Agons Schwert ihm den Kopf vom Körper trennte.
Der Leichnam von König Aleine Gunder IX. schlug auf dem Tisch auf und riss einige Stühle um, bevor er auf dem Boden liegen blieb.
Bevor auch nur einer der Soldaten ihn angreifen konnte, hob Agon das Schwert mit beiden Händen über den Kopf.
»Ich werde dafür geradestehen, das schwöre ich. Tötet mich, wenn Ihr müsst, aber Eure Pflicht gilt jetzt dem Prinzen. Rettet ihn!«
Eine Sekunde lang bewegte sich keiner von ihnen. Der Rest der Panik in der Halle schien weit fort zu sein. Die Damen schrien, Männer riefen durcheinander, nur mit Fleischmessern bewaffnete Diener versuchten, ihre würgenden Herren zu verteidigen, und in der Luft hallten Rufe von »Verrat!« und »Mord!« wider.
Dann rief Hauptmann Arturian: »Der König ist tot; lang lebe der König! Zum Prinzen! Zu König Gyre!«
Gemeinsam liefen Agon, die königlichen Wachen und ein Dutzend messerschwingender Adliger aus der Großen Halle.
Bevor Kylar in Sichtweite der Westlichen Königsbrücke kam, die von der Burg und der Insel Vos ans Westufer des Plith führte und von aller Welt nur Westbrücke genannt wurde, verlangsamte er sein Tempo. Er zwang sich, ein Schatten zu sein, und schaute sich an. Er sah aus wie ein unordentlich geschnittenes Stück Dunkelheit. Das war gut; Durzo hatte ihm
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