Der Weg in Die Schatten
gegessen zu haben, würde Krämpfe bekommen.
Die Wahl des richtigen Zeitpunkts war jetzt heikel. Das Vergiften war keine genaue Wissenschaft, und jederzeit konnte jemand bemerken, dass etwas nicht stimmte. Durzo musste handeln, bevor das geschah.
Er sicherte ein Ende seines Seils an dem Balken. Es bestand aus schwarzer Seide - lächerlich kostspielig, aber das dünnste und am schwersten zu sehende Seil, das Durzo besaß. Nachdem er das eigens für diese Mission entworfene Geschirr befestigt hatte, zog Durzo das Seil hindurch und ließ sich von dem Balken gleiten.
Der König befand sich direkt unter ihm. Durzo zog die Knie an. Das Geschirr schnitt sich in seine Schultern, während er sich - den Kopf voran - an dem Seil herabließ.
Jetzt war der richtige Zeitpunkt alles. In einer Hand hielt Durzo das Seil; damit konnte er seine Gleitgeschwindigkeit regeln oder sich auch ganz abbremsen. Wenn er sich bewegte, würde er sich schnell bewegen müssen: Er war in Schatten eingehüllt und kaum zu sehen, aber das Seil konnte er nicht gleichermaßen verbergen.
In einem so gewaltigen Raum wie diesem würde ein Seil, das über dem König schwang, als hinge ein Gewicht daran, bemerkt werden. Die Wachen des Königs waren gut. Dafür sorgte Vin Arturian.
Mit der anderen Hand zog Durzo zwei winzige Kügelchen hervor. Beide enthielten Bestandteile verschiedener Pilze. Durzo war es gelungen, die Kügelchen sehr klein zu machen, aber sie lösten sich nicht schnell auf, und für diesen Auftrag konnte er kein Pulver benutzen.
Die Adligen schwiegen noch immer. Der König weinte inzwischen kaum noch, aber er bemerkte, dass die Adligen ihn ansahen.
»Was starrt Ihr so?«, rief er. Dann verfluchte er sie wortreich. »Dies ist das Hochzeitsfest meiner Tochter! Trinkt, verdammt sollt Ihr sein! Redet!« Der König leerte abermals seinen Weinkelch.
Die Adligen taten so, als unterhielten sie sich, und schon bald wurde diese Verstellung zu einem Wirrwarr von Spekulationen. Durzo stellte sich vor, dass sie sich fragten, ob der König den Verstand verloren hatte. Er stellte sich die gleiche Frage.
Er überlegte, was sie wohl denken würden, nachdem der König seinen Weinkelch das nächste Mal geleert hatte.
Ein Diener kam herbei und füllte Aleines Kelch. Der königliche Kelchträger nippte zuerst an dem Wein und ließ ihn im Mund kreisen. Dann gab er den Kelch dem König, der ihn mit einem dumpfen Aufprall auf den Tisch stellte.
»Euer Majestät«, sagte Lordgeneral Agon zur Linken des Königs. »Auf ein Wort?«
Der König drehte sich um, und Durzo ließ sich fallen wie ein Stein. Drei Meter über dem Tisch bremste er seinen Sturz abrupt ab. Drei Meter waren immer noch eine große Distanz, um mit etwas so Leichtem ins Ziel zu treffen, aber er hatte geübt. Doch als er das Seil straff zog, verdrehte es sich, und plötzlich kreiselte er. Nicht schnell, aber doch eindeutig.
Es spielte keine Rolle. Er hatte keine Zeit für einen zweiten Versuch.
Das erste Kügelchen platschte mitten in den Kelch des Königs. Das zweite schlug auf dem Rand auf und prallte ab. Das Kügelchen rollte mehrere Zentimeter über den Tisch und blieb neben dem Teller des Königs liegen.
Durzo zog ein weiteres Kügelchen hervor und warf es in den Kelch.
Der König griff nach dem Kelch und wollte gerade trinken,
als Lordgeneral Agon sagte: »Euer Majestät, vielleicht habt Ihr genug getrunken.« Er streckte eine Hand aus, um dem König den Kelch abzunehmen.
Durzo verschwendete keine Zeit darauf festzustellen, was der König tun würde. Er zog ein kurzes Rohr von seinem Rücken und schaute an Agon vorbei zu Fergund Sa’fasti hinüber, dem Magier des Königs. Er sah den Mann, aber das Seil drehte ihn weg, bevor er einen Pfeil abschießen konnte.
Er wollte es mit einem Schuss ins Bein versuchen. Seine Hoffnung war die, dass der Schierling die Beine des Magiers so weit abgetötet hatte, dass er das Brennen nicht einmal bemerken würde. Aber bei der nächsten Drehung hatte er kein klares Schussfeld, weil der König und der Lordgeneral wild gestikulierten.
Verdammte Roben! Unter den Roben des Magiers waren kaum fünfzehn Zentimeter seiner Wade zu sehen. Durzo bekam ihn abermals ins Visier und gab den Schuss in die Wade auf. Der Magier war von einem Fuß auf den anderen getreten, und Durzo hatte nur einen einzigen dieser Pfeile - womit sie bestrichen waren, war ein khalidorisches Geheimnis, das angeblich die magischen Fähigkeiten eines Magiers außer Kraft
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