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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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ausgestreckt auf einer Büffelhautdecke. Er lag da, als ob er sich völlig erschöpft hingeworfen habe, und obgleich er die Augen geschlossen hatte und zu schlafen schien, ging sein Atem unruhig, und hin und wieder war es, als ob seine Augen sich bewegten. Dann zuckten auch seine Hände. Er träumte, und zuweilen schrak er aus dem Traum auf. Neben ihm im Grase lag griffbereit eine doppelläufige Büchse, in Leder eingeschlagen und so vor Feuchtigkeit geschützt. Oberhalb der Quelle, an einer Stelle des schmalen Felspfades, die einen weiteren Ausblick auf die Berghänge und auch in die tiefer gelegenen Täler erlaubte, befand sich in der einsamen Wildnis ein zweiter Mensch. Er spähte durch die Sternennacht. Groß von Wuchs und schlank, in der Haltung eines Mannes, der auch schwierige Tritte und Griffe ohne Mühe meistert, stand er an einem exponierten Vorsprung. Sein Oberkörper war nackt, seine Schultern zeigten schwere Kratzwunden, die verkrustet waren. Die Zöpfe, in die er das lange Haar geflochten hatte, fielen rechts und links von den Schultern. Aus der Lederscheide, die er an einer Schnur um den Nacken trug, ragte der Messergriff hervor. Andere Waffen hatte er nicht bei sich. Er trug auch keinerlei Schmuck, keine auszeichnende Feder.
    Unbeweglich stand dieser Indianer; sein Blick ging jeweils lange in dieselbe Richtung, weithin über die Höhenzüge, die sich zu den Prärien senkten, hinüber zu dem kleinen Wiesental, in dem der Knabe schlief, hinauf zu den Gipfeln, über denen die Sterne leuchteten. Er hatte lange auf seinem Beobachtungsposten gestanden, als das erste zarte graue Dämmern im Osten aufkam. Wind erhob sich, und es wurde in der Höhe sofort sehr kühl, kühler als in der Nacht. Die Tautropfen an den Gräsern schillerten auf. Der Himmel erhellte sich zunehmend, und aus dem Grau brach das helle Gold der aufgehenden Sonne. Alle Farben erstanden neu, die Wiese wurde grüner und die Quelle wie Silber; Schatten wichen zurück wie verscheuchte Geister. In den leuchtenden Höhen des Himmels schwebte schon ein Falke. Auf einer Waldblöße weit unterhalb das Wasserfalls rührte es sich, kaum daß der erste Sonnenstrahl dahin gelangt war. Ein Hirsch trat aus den Bäumen hervor, verhoffte und begann dann ruhig seinen Durst zu stillen und zu äsen. Der Indianer hatte noch im Schatten der Felsen gestanden. Aber endlich fanden die Strahlen der Sonne auch ihn und wärmten seine Glieder. Er reckte sich ein wenig, und die unscheinbare Regung beherrschter Kraft machte die Schönheit dieses menschlichen Körpers vollkommen. Er hatte die Lider gesenkt und hob die Hand schirmend über die Augen, um der Sonne entgegen über waldige Höhenzüge und Prärie zu schauen. Seine Haut war hellbraun; die Augen schwarz, tief schwarz auch das Haar. Er rührte sich jetzt, stieg den schmalen Naturpfad im Felsen hinab, ohne sich mit der Hand anzuhalten, und bückte sich bei der Quelle, um zu trinken. Langsam ging er dann aus dem feuchten Kreisrund der Wiese zu dem schmalen Tale, in dem der Bach abfloß. Er trat nicht auf Gras und feuchten Boden, sondern von einem der Steine, wie sie im Grase umherlagen, zum anderen; in den leichten Mokassins konnten sich seine Füße sicher bewegen.
    Die Pferde liefen zu ihm herbei, und er begrüßte sie. Er ging zu dem Knaben, der noch schlief. Während er ihn betrachtete, veränderten sich seine Züge. Sein Gesicht war das eines dreißigjährigen Mannes, offen und wohl gebildet, aber seine Wangen waren hohl, die Schläfen eingefallen und die Mundwinkel in einer herben Art herabgezogen. Als er auf den schlafenden Knaben schaute, legte sich der Anflug eines Lächelns um seine Lippen, und seine Augen öffneten sich weiter. Das Lächeln blieb aber von einer schmerzlichen Wehmut. Der Knabe erwachte und sprang dabei sofort auf. Er glich seinem Vater und unterschied sich doch von ihm. Seine Haut war um einen Schimmer dunkler, und trotz seines jugendlichen Alters wirkte sein Gesichtsschnitt schon schärfer, die Stirn höher. Er war groß für sein Alter; seine Muskeln und Sehnen spielten wie die eines Wildtieres. Die beiden machten keine Worte, um sich zu begrüßen. Der Junge nahm einen Trunk klaren Wassers, wie es der Vater getan hatte, strich dem Grauschimmel über den Rücken, nahm die Büchse an sich und folgte dann dem Vater, der ihn über den Felspfad zu dem Aussichtspunkt führte.
    »Harka«, sagte der Indianer leise zu seinem Jungen, während die beiden zusammen in die Wälder hinabspähten,

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