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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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das unglücklichste Geschöpf der Welt, denn die freien Indianer gehörten in ihren Verbänden aufs engste zusammen, enger, als ein Weißer es überhaupt nachempfinden und verstehen konnte.
    The Red schlief nur wenige Stunden, und als er vor Morgengrauen wach wurde, ritt er fort, ohne sich von Ben zu verabschieden. Er ritt in südwestlicher Richtung und strebte zu den Lagern der Bahnvermessungsarbeiter. Vielleicht kursierten dort faßbarere Gerüchte über den Aufenthalt des Verbannten, den aufzuspüren The Red entschlossen war. Die Ereignisse, die zu der Katastrophe für den Häuptling geführt hatten, hatten sich zwischen Nord- und Südplatte am Pferdebach abgespielt. The Red wußte sehr genau darum.
    Wie gut, daß er damals sofort aus dem Häuptlingszelt entflohen war! Aus dem, was er jetzt von Ben erfahren hatte, war zu schließen, daß es wirklich Lauscher gegeben hatte. Wer würde sonst die Anklage gegen den Häuptling erhoben haben?
    The Red trieb sein Pferd an. Nach gewissen Anzeichen der Vegetation auf der ausgedörrten Prärie und nach der Bahn der Sonne zu urteilen, neigte sich der Hochsommer schon zum Herbst. Im Winter war das von Schnee bedeckte, den Stürmen preisgegebene Hochland zu unwirtlich. Was The Red im Sinne hatte, mußte er möglichst noch vor dem ersten Schneefall ausführen.
     
     

 
Das Versteck in der Wildnis
     
    Während Red Jim mit der vergeblichen Suche nach Gold beschäftigt und weiterhin unterwegs war, um endlich reich zu werden, hatte sich in einem abgelegenen kleinen Bergtal neues Leben eingefunden. Es war Nacht. Die Schatten der Berge ragten auf; als Ruinen vergangener Erdrevolutionen trotzten sie mit hartem Gestein noch der Gegenwart. In ihren aufgerissenen Seiten rieselte das Wasser, seit Jahrtausenden rieselte es ohne Unterlaß, quellklar, leise murmelnd, aufrauschend um gestürzte Blöcke und tosend im Fall über hohe Wände. Stein, Moos und zähes Gesträuch, Stämme und Zweige windverkrüppelter Bäume hatten des Tags die Sonnenwärme in sich aufgesogen und gaben jetzt der Luft davon ab, die mit sanfter Bewegung im Dunkeln über Berge und Wiesenhänge strich. Sommerdüfte verbreiteten sich mit dem Luftzug, Blütenduft, Geruch trocknender Erde und verkrustenden Harzes. Bären schliefen in ihrem Versteck, Vögel in den Baumkronen; die Insekten ruhten in ihrem Bau oder an Stengeln und unter Blättern. Die Eule machte in ihrem Fluge kein Geräusch. Die Wölfe jaulten nicht mehr, sie waren satt. Ihre Jungen wuchsen kräftig heran und lagen als eine gefährliche Jungschar im Dickicht schlummernd beieinander. Wolkenlos wölbte sich das Firmament mit seinen Sternen über dem Felsengebirge und den Wäldern und Prärien, die zum Fuße der Berge anstiegen.
    Das abgelegene Hochtal, in dem die beiden Pferde weideten, war kurz, eng und steil. Der Bach, der es durchfloß, glitt zwischen Bergwiesen lautlos dahin, so klar wie ein Spiegel. Am Ende des Tales versprühte sein Wasser über einer Felswand in Millionen Tropfen, die im Sternenlicht schimmerten. Mit wenig Geräusch, wie ein dünner Regen, landeten sie auf glatten Steinen. In seinem oberen Teil öffnete sich das Tal zu einem Kreisrund, in dem der Bach als Quelle entsprang. Das Wasser fand nicht gleich sein Abflußbett, sondern rieselte und sickerte dahin und dorthin, befeuchtete die Wurzeln von Gras, Moos und Buschpflanzen und beherbergte kleines Getier. Diese Bergwiese war von Höhen umgeben, die sie vor Stürmen beschützten und die die Quelle mit der absinkenden Feuchtigkeit von Regen und Schnee speisten. Es war ein kleines Paradies der Fruchtbarkeit, scheinbar völlig in sich abgeschlossen. Aber in den Boden eingedrückte Wildspuren, in denen sich Wasser gesammelt hatte, verrieten, daß die einsame Wiese besucht wurde. Die Spuren führten zu einem Felsband, das sich schmal, aber mit zuverlässiger Festigkeit von der Wiese ausgehend an einer der Höhen hinaufzog. Die beiden Pferde liefen frei in dem engen Talabschnitt bei dem abfließenden Bache umher, trugen aber um den Unterkiefer befestigte Zügel. Das eine war ein Grauschimmel, das andere ein Fuchs. Sie hatten die zierliche Statur der Wildpferde und bewegten sich beim Weiden sehr geschickt im Gelände. Sie schienen einander gewöhnt zu sein, denn sie hielten sich immer zusammen und blieben schließlich am Ufer des kleinen Baches beieinander stehen, um zu schlafen.
    Nicht weit von den beiden Tieren lag ein Indianerknabe im Gras. Er hatte die Augen geschlossen und lag

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