Der Weg ins Dunkel
unablässig zu spüren.
Er wandte den Blick vom Fenster ab und berührte seine lederne Halskette. Mit dem Daumen fuhr er über den blutroten Stein, der daran hing, und spürte seine beruhigende Wärme. Es war ein ungewöhnliches Juwel, eins, wie Jian es vorher noch nie gesehen hatte. Kunstvoll war es in eine Fassung aus Hartholz eingearbeitet, obwohl es weder ein Diamant noch ein Edelstein war, sondern ein Mineral, das die Chinesen in seiner reinsten Form importierten. Jians Kontaktmann hatte das Stück als «Herz des Feuers» bezeichnet. Erst vor einer Woche war es ihm zugeschickt worden. Seitdem trug er es stets um den Hals und begeisterte sich an dem warmen, fast hypnotischen Rot eines Minerals, von dessen Existenz die wenigsten Menschen wussten.
Das «Herz des Feuers» war ein Versprechen auf die Zukunft. Das Wohl und Wehe der Gilde hing davon ab, und Jian trug diesen Stein sichtbar mit sich herum, um den anderen vor Augen zu führen, dass
er
diesen Deal eingefädelt hatte.
Ihm
hatte man diesen Stein geschenkt. Keinem anderen.
Der Wagen hielt an, und Jian hörte den Fahrer aussteigen. Gleich darauf wurde leise ans Fenster geklopft, und die Tür ging auf.
Sonnenschein drang ins Wageninnere, und eine Frau beugte sich zur Tür herein. Lange blonde Haare fielen ihr über die Schultern. Sie vergewisserte sich mit einem fragenden Blick, ob sie willkommen war, dann stieg sie mit einer fließenden Bewegung ein und nahm neben Jian Platz.
Er ließ seinen Blick über ihre eleganten Schuhe gleiten, ihre Beine und den engen grauen Rock.
Die Frau glättete den Rock und sah zu Jian auf. Sie war jünger, als ihre Kleidung vermuten ließ. Die Haut um ihre Augen war glatt, und ihre Lippen hatten natürliche Rundungen.
Jian fand ihren Lippenstift zu grell, aber abgesehen davon schien sie ihre Instruktionen befolgt zu haben.
Sie lächelte, und obwohl es ein professionelles Lächeln war, wirkte es charmant, genau wie die Geste, mit der sie eine blonde Strähne um einen Finger wickelte.
«Ich heiße Imogen.»
Jian kniff die Augen zusammen und setzte die Bestandsaufnahme fort. Selbst ihr Parfüm war das gewünschte. Seine Nasenflügel bebten, als er es einatmete und sich zum x-ten Mal darüber wunderte, dass sein Lieblingsduft an jeder Frau anders roch.
«Schön», murmelte er, die Stimme rau vor Erwartung. «Sehr schön.»
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Kapitel 6
Louis Bwalande stand auf dem Rollfeld und rauchte.
Obwohl die Sonne bereits vor einer Stunde untergegangen war, spürte er die Wärme, die noch von der Piste abstrahlte. Mit dem Ärmel seiner schmutzigen Uniform wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Seit sieben Jahren leitete er den Flughafen von Goma, entsprechend kannte er sich mit Schmuggel aller Art aus. Das heute war jedoch etwas anderes. Alle paar Sekunden sah er zu den weißen UN -Flugzeugen hinüber, die in Reih und Glied am Rand des Rollfelds parkten. Gleich darauf blickte er zum nahen Vulkan auf.
Eigentlich sollte der Franzose längst gelandet sein.
Louis nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und versuchte sich zu beruhigen. Immerhin war der Franzose erst seit zwanzig Minuten überfällig. Er blies den Rauch aus und musste plötzlich so stark husten, dass er würgen musste. Er schüttelte den Kopf und sah angewidert auf das glimmende Ende seiner Zigarette. Eigentlich hasste er das Rauchen, aber heute war er so nervös, dass er etwas tun musste, um die Spannung abzubauen. Das Warten war immer das Schlimmste.
Er sah auf seine Uhr und ging in Gedanken eine Checkliste durch. Er hatte den Hangar bereit gemacht, der am weitesten von der UN -Militärbasis entfernt lag. Es war ein guter Ort, um ungestört zu sein, zumal er von zwei moosüberwucherten Boeing 727 verdeckt wurde, die vor einigen Jahren mit einem Bulldozer an den Rand des Flughafens geschoben worden waren, um dort zu verrotten. Daran war nichts Verdächtiges, denn schrottreife Boeings und Antonovs waren auf den meisten kongolesischen Flughäfen ein vertrautes Bild. Von Goma bis Kinshasa säumten sie die Landebahnen – blecherne Zeugen von fünf Jahren Bürgerkrieg. Wie alles andere, das in diesem Land einst funktioniert hatte, waren sie jetzt sich selbst überlassen und verschmolzen langsam mit der Landschaft, wie der Müll auf den Straßen.
Ein Konvoi von Geländewagen näherte sich dem Rollfeld und blieb mit eingeschalteten Scheinwerfern hinter dem löchrigen Zaun stehen. Louis sah Leute aussteigen und im Dunkeln stehen bleiben. Der
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