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Der Weg ins Dunkel

Der Weg ins Dunkel

Titel: Der Weg ins Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Woodhead
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einen immer wieder am Arsch, gerade dann, wenn man am liebsten davor weglaufen würde.»
    Luca seufzte, den Blick auf die Zigarette gerichtet, die sich langsam im Schlamm auflöste.
    «Die Wahrheit ist, dass ich davor Angst habe», sagte er. «Hier bin ich niemandem Rechenschaft schuldig, und ich brauche niemandem zu erklären, was mit Bill passiert ist. Hier kann ich jeden Tag aufstehen und mir Lasten auf den Rücken schnallen. Mehr erwartet man nicht von mir. Hier kann ich einfach …
sein
.» Er machte eine Pause und ließ die Schultern sinken. «Du kommst hier einfach vorbeigeschneit und verlangst, dass ich in die Höhle des Löwen zurückkehre. Beziehungsweise zur Normalität.»
    René schüttelte den Kopf und grinste. «Du musst wirklich verrückt sein, Luca, wenn du das so siehst. Ich bitte dich, in ein Verbrecherkaff in einem der gefährlichsten Kriegsgebiete der Welt zu gehen, und du sprichst von Normalität?» Er verstärkte den Griff um Lucas Schultern und zog ihn mit sich in die Hütte zurück.
    «Normalität!», wiederholte er und schüttelte immer noch den Kopf. «Ich werde wohl nie begreifen, was in deinem Dickschädel vorgeht. Jetzt komm! Lass uns erst mal ins Trockene gehen und uns in aller Ruhe unterhalten. Es ist noch eine halbe Flasche Brandy übrig, und die sollten wir austrinken, bevor die alte Dame wieder mit dieser lauwarmen Pisse ankommt, die sie als Tee bezeichnet.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 5
    Der lange Mercedes Maybach schälte sich wie ein Schatten aus dem hochgefahrenen Sicherheitstor und fädelte sich in den dichten Verkehr auf Beijings Straßen ein. Mit der geballten Kraft seines V 12 -Motors überquerte er die Beihai-Brücke, passierte den See, auf dem sich Scharen von Touristen in gelben Paddelbooten vergnügten, und fuhr in nordwestlicher Richtung auf den Vorort Haidian zu.
    General Jian saß im weißen Lederpolster des Rücksitzes und sah aus dem Fenster. Seine Augen waren genauso dunkel und matt wie das getönte Glas der Limousine; bei beiden ging es darum, nichts nach außen dringen zu lassen. Den Blick auf das Verkehrschaos von Chinas größter Metropole gerichtet, ließ er die Besprechung Revue passieren, von der er gerade kam. Er sah die drei Komiteemitglieder, die als Vertreter der Volksbefreiungsarmee gekommen waren, noch genau vor sich, ihre Blicke, Gesten und Posen, während er über den Fortschritt des Satellitenprogramms berichtet hatte. Seit zwei Jahren war seine Division für die Einführung des Beidou-Navigationssystems verantwortlich – die chinesische Antwort auf das amerikanische Global Positioning System, GPS , und das Komitee verlangte von ihm Rechenschaft über jeden einzelnen Yuan, der in das Projekt floss.
    Es war jedoch nicht das Ergebnis der Besprechung, was ihn am meisten beschäftigte, sondern ihr genauer Ablauf. Es war eine Angewohnheit von ihm, sich alles, was er erlebte, hinterher minuziös in Erinnerung zu rufen.
    Der Vizepräsident des Komitees etwa hatte zwei Schrammen am rechten Schuh gehabt; der blasse Streifen am Ringfinger des Untersekretärs hatte verraten, dass er bis vor kurzem verheiratet gewesen war; der Vorsitzende hatte scharf die Luft eingesogen, als er die Liste der bisherigen Ausgaben überflog.
    Jian sah das alles so deutlich vor sich, als liefe ein Film in Zeitlupe vor ihm ab. Er hatte richtiggelegen mit seiner Annahme, dass keiner der Anwesenden den geringsten Schimmer hatte, was seine wahren Pläne für den zwanzigsten Satelliten betraf, der in Kürze in die Erdumlaufbahn geschossen werden sollte.
    Geistesabwesend hob er die rechte Hand und kratzte sich an der trockenen Stelle unter dem gestärkten weißen Hemdkragen. Er wusste nicht mehr, wann der Juckreiz zum ersten Mal aufgetreten war, aber er war sich fast sicher, dass es etwas mit den Kopfschmerzen zu tun hatte, unter denen er neuerdings litt. Praktisch täglich. Ein dumpfes Pochen in den Schläfen, das nie ganz aufhörte, ehe die nächste Attacke kam.
    Er holte vier Paracetamol aus einer Schachtel, die auf dem Nebensitz lag, und spülte sie mit etwas Wasser aus einer bereitliegenden Flasche hinunter, ehe er den Blick auf den dunkelblauen Abendanzug richtete, der an der gegenüberliegenden Tür hing. Er roch noch nach der Reinigung, aus der er am Vormittag abgeholt worden war.
    Jian beugte sich vor, knöpfte sein Hemd auf und zog die Hose aus. Er griff nach einem frischen Hemd und wollte es gerade anziehen, als sein Blick auf sein Spiegelbild in der getönten

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