Der Weg ins Dunkel
entdeckte er ihn plötzlich ganz in der Nähe. Er half anderen, einen schiefen Säckestapel aufzurichten und vorm Einstürzen zu bewahren. Ihre Blicke trafen sich, aber keiner von beiden ließ sich etwas anmerken. Der Mann blickte stur geradeaus, während er mit der Hand ab und zu in einen der Säcke fasste, etwas herausholte und es in seine rechte Hosentasche steckte.
Louis staunte über seine Ruhe und Unverfrorenheit. Dann merkte er, dass Jean-Luc sich zu ihm umdrehte.
«Vertrauen», sagte der Franzose. «Das ist das Wichtigste im Leben.»
Louis erstarrte. Sein Mund wurde trocken, und er versuchte zu schlucken. Panik stieg in ihm auf. Ihm wurde so übel, dass er sich zwingen musste, die Hand nicht an den Magen zu pressen. Der Franzose hatte immer noch seinen schweren Arm um seine Schulter gelegt, und Louis stellte sich plötzlich vor, dass er ihn im nächsten Moment um seinen Hals legen und einfach zudrücken würde wie eine Würgeschlange.
«Aber diese Schlitzaugen hier», Jean-Luc machte eine Kopfbewegung zu den Chinesen, «die geben einen Scheiß auf Loyalität und Vertrauen. Die nehmen alles mit, was sie kriegen können, egal, von wem.»
Louis sagte nichts.
Leutselig fuhr Jean-Luc fort: «Weißt du, nach all den Jahren sind es nicht die Waffen, die getöteten Zivilisten und nicht mal die Sinnlosigkeit der Kämpfe, was mir am meisten zu schaffen macht. Es ist die Heuchelei. Mit einer Hand bietet der Westen Hilfe an, mit der anderen schaufelt er alles aus dem Land raus, was irgendwie von Wert ist. Da sind die Chinesen anders. Die sind einfach nur auf dieses Mineral aus und kaufen es von jedem, der es auf den Markt wirft. Es ist so einfach, dass es schon wieder schön ist.»
Louis nickte übertrieben. «Richtig, Monsieur Étienne. Die Einfachheit.» Er überlegte fieberhaft, worauf der Franzose hinauswollte. Trieb er eins seiner Spielchen, oder hatte er einfach nur eine tiefsinnige Bemerkung gemacht? Vorsichtshalber nickte Louis noch einmal. Während er überlegte, ob – und gegebenenfalls was – er antworten sollte, ging ihm ein Wort nicht aus dem Kopf, das der Franzose gesagt hatte: Mineral.
Obwohl er diese Lieferungen schon lange organisierte, war Louis noch nie dahintergekommen, womit hier eigentlich gehandelt wurde. Für Diamanten waren die Mengen zu groß, für Gold zu klein. Er hatte sich darauf eingelassen, das Zeug, was immer es war, blind einzukaufen, wobei ihm angesichts der enormen Sicherheitsmaßnahmen klar war, dass es sich um etwas ungeheuer Wertvolles handeln musste. Nun aber hatte Jean-Luc gerade ausgeplaudert, dass es um ein Mineral ging. Aber welches war so wertvoll? Uranerz?
Als die letzten Männer aus dem Frachtraum kletterten, stiegen die Soldaten wieder ein. Sie hielten die Waffen auf die anderen gerichtet, bis die Ladeklappe geschlossen war und die Iljuschin die Motoren wieder anwarf.
«Bis nächste Woche», schrie Jean-Luc in den Lärm. Er ließ Louis auf dem Rollfeld stehen und rannte auf den vordersten Oryx zu. Kaum hatte er darin Platz genommen, hob die Maschine vom Boden ab. Die anderen folgten und bildeten eine Dreiecksformation unter dem Rooivalk, der ihnen bis in 500 Metern Höhe Deckung gab. Dann beendeten sie den Steigflug, senkten die Nasen und beschleunigten in einer weiten Kurve um den blassorange glühenden Vulkan.
Louis stand ganz still da und horchte auf das abschwellende Geknatter. Seine Anspannung war zur Erschöpfung geworden, und nun ließ er erleichtert die Schultern sinken. Wenigstens war der Franzose weg. Er atmete tief aus, als ihn jemand von hinten packte. Empört wollte er aufschreien, als er begriff, dass ein Chinese ihn lediglich vor der anrollenden Iljuschin wegziehen wollte. Zusammen rannten sie auf die andere Seite der Landebahn.
«Sie aufpassen, Mr. Louis», rief der Chinese in gebrochenem Englisch und zeigte auf das Flugzeug. Dann gestikulierte er noch heftiger, als wollte er auf etwas ganz Bestimmtes zeigen.
Im selben Moment spürte Louis, dass ihm etwas Schweres in die Jackentasche gesteckt wurde, und widerstand der Versuchung hinzusehen.
«Das Geld liegt unter dem Rücksitz des ersten Wagens», sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Der Chinese brauchte einen Moment, um zu verstehen, dann zeigte er wieder auf die Iljuschin. «Maschine gefährlich», sagte er. Dann ging er zu seinen Kollegen zurück.
Louis legte die Hand an seine Jackentasche und versuchte anhand des Gewichts abzuschätzen, wie viel ihm zugesteckt worden war. Der
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