Der Weg ins Dunkel
gesagt hatte, auf Luca zutraf. War er ernsthaft gestört? Hatte Bills Tod ihn gebrochen? Manchmal kam noch der alte Luca zum Vorschein, aber nur für kurze Momente, bevor seine Verbitterung wieder überhandnahm. Die Wut, von der Bear gesprochen hatte, war ein Teil von ihm geworden. Das hatte René schon in den Bergen begriffen. Aber er konnte nicht glauben, dass diese Wut alles war, was von Luca übrig geblieben war. Da musste doch mehr sein!
Er wollte sich eine neue Zigarette anzünden, ließ es aber sein, weil sein Hals ganz trocken war. Abwesend rieb er sich die Hände und merkte, wie feucht seine Handflächen waren. In wenigen Stunden würden sie an einem der gefährlichsten Orte der Welt landen, und er hatte niemanden als Luca an seiner Seite.
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Kapitel 15
René wachte davon auf, dass die Cessna mit der Thermik rasant absackte. Alles wurde durcheinandergerüttelt. Lucas Rucksack fiel ihm in den Schoß, und das Kleingeld aus seiner Tasche fiel klirrend zu Boden. Er streckte die Hände aus und versuchte, sich an irgendwas festzuhalten. Aus irgendeinem Grund hatte er rasende Kopfschmerzen, und ein Speichelfaden zog sich von einem Mundwinkel über seinen Bart. Die Morgensonne tauchte das Cockpit in so gleißendes Licht, dass seine Augen schmerzten. Ihm war heiß, er fühlte sich dehydriert, und die Zigarette, die er vor Stunden geraucht hatte, hatte einen beißenden Geschmack in seinem Mund hinterlassen.
Wieder machte die Cessna einen Satz, ehe sie eine steile Abwärtskurve flog. Renés Magen krampfte sich zusammen. Etwas Saures stieg in seinem Hals auf, und er stöhnte leise, als er es mühsam wieder herunterschluckte. Er sah sich in dem Durcheinander des freien Rücksitzes nach einer Flasche Wasser um, gab es aber schnell wieder auf. Seine Kopfschmerzen waren so stark, dass er sich lieber nicht zur Seite beugen wollte. Stattdessen schob er das verrutschte Headset zurecht und bog den Mikrophonbügel vor seinen Mund.
«Wo zum Teufel sind wir?»
Luca, der sein Headset wieder aufgesetzt hatte, sah sich um. «Wir befinden uns im Anflug auf Epulu. Du hast stundenlang geschlafen.»
«Gott sei Dank», brummte René.
«Wie fühlst du dich?», fragte Luca und sah René besorgt an.
«Super. Ich kann gar nicht abwarten, dass es endlich losgeht.» René drückte die Hände an die Schläfen und sah aus dem Fenster.
Unter ihnen erstreckte sich das Blätterdach des Ituriwaldes in alle Richtungen. Millionen von Bäumen standen dicht an dicht und bildeten eine der letzten großen Wildnisse des Planeten. Alles war grün, so weit das Auge reichte. Obwohl die Sonne schien, hingen einzelne Wolken am Himmel und warfen Schatten auf das sonst strahlende Grün.
Mäandernde Nebenflüsse des Kongo schnitten Schneisen zwischen die Bäume und bewegten sich auf den Zusammenfluss zu, der irgendwo in der Ferne lag.
«Phantastisch», murmelte René und vergaß über dem großartigen Anblick für einen Moment seine Kopfschmerzen.
«Ja, beeindruckend, nicht wahr?», sagte Bear über die Schulter. Sie beugte sich vor und zog die Stirn vor Konzentration in Falten, als sie die Cessna in einer weiteren Kurve absenkte.
«Als Stanley den Kontinent durchquerte, nannte er diese Region ‹das schwarze Herz Afrikas›», sagte René zu niemandem im Besonderen. «Ich hätte nie gedacht, dass ich es einmal zu sehen bekommen würde.»
Bear sah wieder auf die Karte. Eigentlich sollten sie sich genau über dem Zielgebiet befinden, aber unter ihnen war nichts als das geschlossene Blätterdach zu sehen. Sie drosselte die Geschwindigkeit auf siebzig Knoten, senkte die Ruderklappen und ließ die Maschine um die eigene Achse nach rechts abkippen, um aus Lucas Fenster nach unten zu sehen. Tatsächlich kam ein graues Dach in Sicht, dann noch eins. Das Dorf lag direkt unter ihnen.
«Da! Das Dorf», sagte Luca und drückte den Finger an die Scheibe.
«Ja, ich seh’s», sagte Bear und bereitete sich auf die Landung vor. Während sie die Instrumentenanzeigen checkte, sprach sie in ihr Headset.
«Nach den letzten Informationen, die uns vorliegen, ist die LRA bis auf dreißig Kilometer nördlich von Epulu vorgedrungen und hat dort eine Waldsiedlung der Pygmäen niedergebrannt. Danach haben wir nichts mehr von ihr gehört.»
«Gibt es ein Hauptquartier, und wenn ja, wo?», fragte René.
«Das weiß niemand. Auch mit Satelliten hat man nichts orten können. In dem Gebiet zwischen hier und dem Sudan kann die LRA jederzeit und überall
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