Der Weg ins Glueck
Sieg. Und was den Doktor betrifft: Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Ich übernehme die Verantwortung, liebe Frau Doktor, Sie brauchen also kein schlechtes Gewissen zu haben.«
In diesem Winter verwöhnte Susan Shirley nach Strich und Faden. Jedes Wochenende kam er von der Queen’s Academy nach Hause, und Susan kochte ihm dann all seine Lieblingsgerichte, wobei sie Gilberts Regeln geschickt auswich oder ihn einfach beschwatzte. Sie bediente Shirley von vorn bis hinten. Obwohl sie sonst ununterbrochen über den Krieg redete, so mied sie dieses Thema in seiner Gegenwart. Aber sie behielt ihn im Auge wie eine Katze die Maus. Und von dem Augenblick an, als der Rückzug der Deutschen aus Bapaume begann, war Susans Begeisterung vermischt mit einem Gefühl, das so tief saß, dass sie mit niemandem darüber sprach. Bestimmt war das Ende in Sicht, bestimmt nahte es, bevor jemand anderes gehen konnte.
»Endlich nehmen die Dinge ihren Lauf in unsere Richtung«, sagte sie triumphierend zu Cousine Sophia. »Die Vereinigten Staaten haben endlich den Krieg erklärt, wie ich immer schon vorhergesagt habe, und das trotz Woodrows Briefschreibetalent. Ihr werdet sehen, sie werden sich mit Schwung und Elan in Gang setzen, so, wie sie es angeblich gewohnt sind, wenn sie einmal etwas anfangen. Und den Deutschen haben wir auch Beine gemacht.«
»Die Staaten meinen es gut, aber aller Schwung und Elan dieser Welt werden nicht ausreichen, sie dieses Frühjahr kampfbereit zu machen, und bis dahin sind die Alliierten schon fertig«, jammerte Cousine Sophia. »Die Deutschen locken sie doch bloß an. Dieser Mann namens Simonds sagt, ihr Rückzug hätte die Alliierten in Schwierigkeiten gebracht.«
»Dieser Simonds hat mehr gesagt, als er je wieder gutmachen kann«, erwiderte Susan. »Seine Meinung kümmert mich wenig, solange Lloyd George Premierminister von England ist. Der lässt sich nicht aus dem Konzept bringen, das kannst du mir glauben. In meinen Augen sieht es gut aus. Die Vereinigten Staaten sind mit im Krieg, und wir haben Kut und Bagdad zurück - und es würde mich nicht wundern, wenn die Alliierten bis Juni in Berlin wären - und die Russen auch, wo sie doch den Zaren losgeworden sind. Das war ein gutes Stück Arbeit, finde ich.«
»Das wird sich finden«, sagte Cousine Sophia. Wie entrüstet wäre sie gewesen, hätte jemand ihr den Vorwurf gemacht, ihr gefiele Susans Blamage als Wahrsagerin wohl besser als ein erfolgreicher Sturz der Tyrannei oder gar der Einmarsch der Alliierten Unter den Linden. Aber vom Elend der russischen Bevölkerung wusste Cousine Sophia ziemlich wenig, während diese lästige Susan mit ihrem Optimismus ihr ein immer währender Dorn im Auge war.
Währenddessen saß Shirley auf der Tischkante im Wohnzimmer und schaukelte mit den Beinen, ein kräftiger, gesunder Junge von Kopf bis Fuß. Ganz unvermittelt sagte er: »Mutter und Vater, letzten Montag bin ich achtzehn geworden. Meint ihr nicht auch, dass es jetzt Zeit ist, dass ich mich zum Kriegsdienst melde?«
Anne wurde ganz blass und sagte: »Zwei meiner Söhne sind schon gegangen und einer wird nie mehr zurückkommen. Muss ich dich denn auch noch hergeben, Shirley?«
Das uralte Wehklagen: Joseph ist nicht mehr da, und Simeon ist nicht mehr da; Benjamin wollt ihr auch wegnehmen; es geht alles über mich. Die Klage der Mütter in diesem Weltkrieg klang wie das Echo des alten Patriarchen Jakob vor langer, langer Zeit!
»Du willst doch nicht, dass ich ein Drückeberger bin, Mutter? Ich kann zur Luftwaffe gehen. Was sagst du, Papa?«
Gilberts Hände waren nicht ganz so ruhig wie sonst, als er das Pulver, das er fülr Abbie Flaggs Rheumatismus zusammengebraut hatte, einwickelte. Er hatte gewusst, dass dieser Augenblick kommen würde, aber nun traf es ihn doch. Nachdenklich antwortete er: »Ich werde nicht versuchen dich von etwas zurückzuhalten, was du für deine Pflicht hältst. Aber geh bitte nicht, wenn deine Mutter nicht ausdrücklich Ja sagt.«
Shirley sagte nichts mehr dazu. Er machte nie viel Worte. Auch Anne sagte im Augenblick nichts mehr. Sie musste an Klein Joyces Grab auf dem alten Friedhof in Overharbour denken. An Klein Joyce, die jetzt schon eine erwachsene Frau gewesen wäre, wenn sie nicht hätte sterben müssen. An das weiße Kreuz in Frankreich und die glänzenden grauen Augen des kleinen Jungen, der ihr zu Füßen saß, als ihm die erste Lektion über Pflicht und Treue erteilt wurde. An Jem in den schrecklichen
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