Der Weg ins Glueck
umherschweiften und den Vollmond und den Sonnenuntergang im Regenbogental beobachteten. Aber die Tage von gestern kehren nie mehr zurück, kleiner Jims. Die Tage von heute sind voller dunkler Wolken und an die Tage von morgen wollen wir lieber gar nicht erst denken.
11. Dezember 1917
Heute kamen wunderbare Nachrichten. Die britischen Truppen haben gestern Jerusalem erobert. Wir hissten sogleich die Flagge und für einen Augenblick lebte sogar Gertrude wieder auf. 'Eigentlich«, sagte sie, »ist es gar nicht so schlecht, in einer Zeit zu leben, in der man das Ziel des Kreuzzugs vor sich sieht. Die Geister der alten Kreuzfahrer müssen gestern Abend vor den Mauern Jerusalems zusammengeströmt sein, mit Coeurdelion an ihrer Spitze.«
Auch Susan hatte allen Grund zur Zufriedenheit. »Bin ich froh, dass ich wenigstens Jerusalem und Hebron aussprechen kann«, sagte sie. »Was für eine Erleichterung nach Przemysl und Brest-Litowsk! Jetzt haben wir wenigstens den Türken Beine gemacht, und Venedig ist gerettet, und Lord Landsdowne muss man einfach nicht ernst nehmen; also, kein Grund, den Kopf hängen zu lassen.«
Jerusalem! Die »Meteorflagge Englands« schwebt über dir, der Halbmond ist verschwunden. Walter wäre begeistert gewesen!
18. Dezember 1917
Gestern war Wahltag. Am Abend versammelten sich Mutter, Susan, Gertrude und ich im Wohnzimmer und warteten gespannt und besorgt auf das Ergebnis, während Vater ging. Wir hatten keine Möglichkeit, die Nachrichten zu hören, weil wir keine direkte Verbindung zu Carter Flagg haben, und als wir es über die Zentrale versuchten, bekamen wir immer wieder zu hören, die Leitung sei überlastet - kein Wunder, schließlich versuchte wohl jeder im Umkreis von mehreren Meilen, zu Carters Laden durchzukommen, aus demselben Grund wie wir.
Gegen zehn Uhr ging Gertrude zum Telefon und erwischte zufällig jemanden aus Overharbour in der Leitung, der gerade mit Carter Flagg sprach. Gertrude lauschte dem Gespräch schamlos und erfuhr zur Belohnung das, was heimliche Lauscher eben erfahren, nämlich genau das, was sie nicht hören wollen: Die Unionsregierung hatte im Westen »nichts erreicht«.
Wir schauten uns erschrocken an. Wenn die Regierung im Westen versagt hatte, dann war sie geschlagen.
»Was für eine Schande für Kanada vor der ganzen Welt«, sagte Gertrude verbittert.
»Wenn alle so wären wie die Mark Crawfords aus Overharbour, dann wäre das nicht passiert«, murrte Susan. »Die haben ihren Onkel heute Morgen im Schuppen eingeschlossen und ihn erst wieder herausgelassen, als er versprach die Union zu wählen. Das nenne ich Konsequenz, liebe Frau Doktor.« Gertrude und ich kamen daraufhin überhaupt nicht zur Ruhe. Wir gingen so lange auf und ab, bis unsere Beine nicht mehr mitmachten und wir uns notgedrungen hinsetzen mussten. Mutter strickte und strickte, gleichförmig wie ein Räderwerk, und tat dabei ganz ruhig und gelassen, und zwar so überzeugend, dass wir ganz neidisch wurden - bis zum nächsten Tag, als ich sie dabei ertappte, wie sie zehn Zentimeter von ihrem Strumpf wieder aufribbelte. Um so viel hatte sie sich vertan, wo schon längst die Ferse hätte anfangen sollen!
Vater kam erst um zwölf nach Hause. Er stand in der Tür, schaute uns an und wir schauten ihn an. Keiner wagte ihn zu fragen, wie es ausgegangen war. Dann sagte er, es sei Laurier gewesen, der im Westen »nichts erreicht« hätte, und dass die Unionsregierung mit großer Mehrheit gesiegt hätte. Gertrude klatschte in die Hände. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, Mutters Augen funkelten wie in alten Zeiten und Susan stieß einen merkwürdigen Laut zwischen Keuchen und Schreien aus.
»Das wird dem Kaiser nicht besonders gefallen«, sagte sie. Dann gingen wir zu Bett, aber wir waren viel zu aufgeregt, um schlafen zu können. Es stimmt schon, was Susan heute Morgen gesagt hat: »Liebe Frau Doktor, ich glaube, die Politik ist für Frauen viel zu anstrengend.«
31. Dezember 1917
Unser viertes Kriegsweihnachten ist vorbei. Wir versuchen etwas Mut zu fassen, damit wir ein weiteres Jahr überstehen. Deutschland hat den ganzen Sommer über fast nur Siege davongetragen. Und jetzt heißt es, alle seine Truppen von der russischen Front stünden bereit zum »Großangriff« im Frühjahr. Wie sollen wir den Winter überstehen, wenn uns das bevorsteht?
Diese Woche habe ich einen ganzen Stoß Briefe aus Übersee bekommen. Shirley ist jetzt auch an der Front und er schreibt
Weitere Kostenlose Bücher