Der Weg ins Glueck
angezündet und mir die Bibel vorgenommen; und was glauben Sie, auf welchen Vers mein Blick da traf? Er hieß: Und sie werden gegen dich kämpfen, aber sie werden dir nichts anhaben, denn ich bin mit dir, um dich zu erlösen, sagte der Herr der Heerscharen. Ich kenne zwar nicht solche Träume wie Miss Oliver, aber da habe ich sofort gewusst, dass das eine Offenbarung ist und dass Hindenburg Paris nie zu Gesicht kriegen wird. Also las ich gar nicht erst weiter, sondern ging wieder ins Bett, und ich wachte weder um drei Uhr auf noch zu sonst einer verfrühten Stunde.«
Diesen alten Vers, den Susan da gelesen hat, sage ich mir immer und immer wieder auf. Der Herr der Heerscharen ist mit uns - und alle gerechten Männer sind guten Mutes gegen eine solche Barriere können selbst die Legionen und Geschütze, die Deutschland an der Westfront ansammelt, nichts ausrichten. Das sage ich mir in den wenigen Augenblicken der Zuversicht; dann aber kommen wieder Augenblicke, wo ich das Gefühl habe, diese schreckliche, Unheil verkündende Ruhe vor dem Sturm nicht länger ertragen zu können.
23. März 1917
Das Armageddon hat begonnen! Der allerletzte große Kampf! Ist er das wirklich? Gestern bin ich zur Post gegangen, um zu sehen, ob Briefe da waren. Es war ein öder, bitterkalter Tag. Der Schnee war weggetaut, aber der graue, leblose Boden war hart gefroren, und es blies ein schneidender Wind. Die ganze Landschaft von Gien sah hässlich und hoffnungslos aus.
Da fiel mir die Zeitung mit den fetten Schlagzeilen in die Hände. Deutschland hat am einundzwanzigsten zugeschlagen. Es behauptet, eine Menge Waffen erbeutet und viele Gefangene gemacht zu haben. General Haig berichtet, »dass der Kampf schonungslos weitergeht«. Was für ein schrecklicher Ausdruck!
Im Augenblick finden wir es alle unmöglich, irgendetwas zu tun, was geistige Konzentration erfordert. Deshalb stricken wir alle wie wild vor uns hin, es geht ganz automatisch. Zumindest hat jetzt die schreckliche Warterei ein Ende, die ständige Frage, wo und wann der Angriff stattfinden wird. Jetzt ist es so weit - aber sie werden uns nichts anhaben können!
Ach, was wird wohl heute Abend an der Westfront los sein, während ich in meinem Zimmer sitze und das hier in mein Tagebuch schreibe? Jims schläft in seinem Bettchen und der Wind heult draußen vor dem Fenster; über meinem Tisch hängt Walters Bild und er sieht mit seinen schönen tiefen Augen auf mich herab; die Mona Lisa, die er mir geschenkt hat, als er das letzte Mal mit uns Weihnachten feierte, hängt daneben, und auf der anderen Seite hängt sein Gedicht »Der Pfeifen in einem Rahmen. Es kommt mir vor, als könnte ich Walter hören, wie er es vorträgt - dieses kleine Gedicht, in das er all seine Gefühle legte und das deshalb für immer leben wird und das Walters Namen weiterträgt in die Zukunft unseres Landes. Alles um mich herum ist ruhig und friedlich und heimelig. Walter ist mir so nah. Wenn ich den dünnen, wehenden Schleier zwischen uns lüften könnte, dann würde ich ihn sehen, so wie er den Pfeifer gesehen hat am Abend vor Courcelette.
Wie es wohl heute Abend aussieht da drüben in Frankreich? Wird die Front standhalten?«
Schwarzer Sonntag
Niemals in der Weltgeschichte hat es wohl sieben Tage voll solcher Angst gegeben wie im März des Jahres 1918. Und an einem dieser sieben Tage schien die ganze Menschheit wie ans Kreuz genagelt. Es war, als ob der Planet sich unter den Erschütterungen des Universums wand und krümmte: Überall blieben die Fierzen der Menschen vor Angst stehen.
Es war ein stiller, kalter, grauer Morgen, als Anne, Rilla und Miss Oliver sich mit einem Gefühl aus banger Erwartung und heimlicher Hoffnung zum Kirchgang fertig machten. Gilbert war nicht da; er war ins Haus der Marwoods nach Upper Gien gerufen worden, um einer jungen Mutter beizustehen, die tapfer darum kämpfte, der Welt Leben zu bringen statt Tod. Susan wollte an diesem Sonntagmorgen zu Hause bleiben, und das kam selten genug vor.
»Ich gehe heute Morgen lieber nicht in die Kirche, liebe Frau Doktor«, erklärte sie. »Wenn ich mir vorstelle, Mondgesicht-mit-Schnauzbart sitzt da mit frommer Miene, wie er sie immer aufsetzt, wenn er sich einbildet, dass die Hunnen gewinnen, dann verliere ich womöglich die Fassung und schleudere ihm die Bibel oder das Gesangbuch ins Gesicht. Ich möchte lieber keine Schande über mich und die Kirche bringen. Nein, liebe Frau Doktor, ich bleibe lieber zu Hause und bete hier,
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