Der Weg ins Glueck
verhängt!«
Susan würde ihren letzten Blutstropfen opfern für »ihren König und ihr Land«, aber dass sie auf ihre geliebten Rezepte verzichten soll, das wollte sie überhaupt nicht einsehen.
Von Nan und Di kam auch ein Brief beziehungsweise eine Nachricht. Sie haben keine Zeit zum Briefeschreiben, weil die Prüfungen drohen. Im Herbst werden sie ihr Studium abgeschlossen haben. Ich bin ganz offensichtlich der Dummkopf der Familie. Aber irgendwie hat mich das College nie gereizt, und das hat sich bis jetzt nicht geändert. Ich fürchte, ich habe überhaupt keinen Ehrgeiz. Es gibt nur eins, was ich gern sein möchte, und ich weiß nicht, ob ich das je sein werde oder nicht. Wenn nicht, dann möchte ich überhaupt nichts sein. Aber das schreibe ich nicht auf. Denken darf man alles, aber es niederzuschreiben wäre vielleicht schamlos, wie Cousine Sophia sagen würde.
Trotzdem: Ich werde es jetzt niederschreiben! Ich lasse mich nicht einschüchtern von Cousine Sophias Anstandsregeln!
Ich möchte Kenneth Fords Ehefrau sein! So, da steht es, schwarz auf weiß!
Ich habe eben in den Spiegel gesehen und festgestellt, dass ich kein bisschen rot dabei geworden bin. Wahrscheinlich ist das alles andere als normal für ein junges Mädchen.
Heute habe ich Monday besucht. Er ist ganz steif und rheumatisch geworden, aber wie immer saß er da und wartete auf den nächsten Zug. Er schlug mit dem Schwanz auf den Boden und schaute mich flehend an. »Wann kommt Jem zurück?«, wollte er wohl fragen. Ach, armer Monday, es gibt keine Antwort auf diese Frage, so wenig wie auf die Frage, die wir uns alle ständig stellen: »Was wird passieren, wenn Deutschland an der Westfront wieder zuschlägt - wenn es sein letzter großer Streich zum Sieg wird?«
1. März 1918
»Was wird der Frühling bringen?«, fragte Gertrude heute. »Noch nie habe ich solche Angst vor dem Frühling gehabt. Glaubt ihr, es wird je wieder eine Zeit geben, in der man keine Angst mehr haben muss? Fast vier Jahre schon gehen wir abends mit der Angst schlafen und wachen morgens mit der Angst auf. Die Angst ist unser ungebetener Gast bei jeder Mahlzeit und der unwillkommene Begleiter bei jeder Versammlung^
»Hindenburg sagt, er wird am ersten April in Paris sein«, seufzte Cousine Sophia.
»Hindenburg!«, sagte Susan, und mit was für einer Verachtung! »FIat er denn vergessen, was für ein Tag der erste April ist?« »Hindenburg hat bis jetzt immer Wort gehaltem«, sagte Gertrude mit so Unheil verkündender Stimme, als hätte es Cousine Sophia gesagt.
»Ja, als er gegen die Russen und die Rumänen gekämpft hat«, schimpfte Susan. »Wartet nur, bis er auf die Briten und die Franzosen stößt, ganz zu schweigen von den Yankees, die mit aller Macht näher kommen. Die werden’s ihm schon zeigend«
»Dasselbe hast du vor Mons auch gesagt«, erinnerte ich sie. »Hindenburg sagt, es wird ihn eine Million Menschenleben kosten, die Front der Alliierten zu brechen«, sagte Gertrude. «Bei einem solchen Preis muss er ein paar Erfolge erzielen. Selbst wenn er am Ende aufgehalten wird, wie sollen wir das durchstehen? Diese letzten beiden Monate, in denen wir uns zusammengekauert und auf den großen Schlag gewartet haben, sind mir genauso lang vorgekommen wie die ganze Zeit des Krieges zuvor. Ich arbeite den ganzen Tag fieberhaft und wache dann nachts um drei Uhr auf mit der bangen Frage, ob die eisernen Legionen endlich zugeschlagen haben. Drei Uhr nachts dürfte es nicht geben. Ich sehe dann Hindenburg in Paris, und ich sehe Deutschland im Triumph. So was passiert mir nur zu dieser verfluchten Stunde.«
Susan runzelte zuerst die Stirn, als Gertrude dieses unflätige Wort sagte, sah aber dann großzügig darüber hinweg.
»Man sollte einen Zaubertrank nehmen und dann die nächsten drei Monate schlafen können - und wenn man aufwacht, ist der Weltkrieg zu Ende«, sagte Mutter fast ungeduldig.
Es kommt nicht oft vor, dass Mutter sich plötzlich so gehen lässt. Sie hat sich ziemlich verändert seit dem schrecklichen Septembertag, als wir erfuhren, dass Walter nicht zurückkehren wird; aber sie hat sich immer tapfer und geduldig gezeigt. Jetzt schien es, als ob sogar sie die Grenze des Erträglichen erreicht hätte.
Susan ging auf Mutter zu und legte die Hand auf ihre Schulter. »Sie dürfen keine Angst haben und den Mut nicht verlieren, liebe Frau Dokton, sagte sie liebevoll. »Letzte Nacht ging es mir ganz ähnlich, und da bin ich aufgestanden, habe meine Lampe
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