Der Weg ins Verderben
er und zog die Tür wieder zu …
***
Sheila kannte den Weg. Sie war ihn oft genug gegangen. Sie kannte auch die Boutique, die eigentlich um diese Uhrzeit am Nachmittag hätte offen sein müssen, doch als sie auf der Vorderseite des Hauses stand, sah sie das Schild von innen an der Tür hängen.
Closed!
Also stimmte doch etwas nicht. Die andere Umgebung interessierte sie nicht, sie warf nicht mal einen Blick durch die Schaufensterscheibe sondern ging sofort zur Haustür. Es gab zwei Klingelschilder. Das eine gehörte zur Wohnung, das andere zum Geschäft.
Sheila klingelte am ersten. Sie hoffte, dass Harriet Brown gewisse Vorgänge überstanden hatte und mit ihr normal sprechen konnte.
Sie wollte schon wieder klingeln, doch den zweiten Versuch konnte sie sich sparen. Sie hörte den Summer, dann konnte sie die Tür aufdrücken und in den Flur gehen, in dem es nach Kaffee roch.
Hätte sie sich nach links gewandt, wäre sie an die Tür gelangt, die ins Geschäft führte. So aber ging sie auf die Treppe zu, die nach oben führte. Sie schaltete auch das Licht im Flur ein, denn es war nicht besonders hell. Auf halber Strecke war die Mauer durch Glasbausteine unterbrochen, und die ließen auch nicht viel Licht durch. In der ersten Etage hörte die Treppe auf. Wer in die zweite wollte, der musste von der Wohnung aus den Zugang nehmen. Der äußere Weg nach oben war durch eine Wand verbaut worden.
Sheila konzentrierte sich auf die Eingangstür, und sie spürte, wie sich etwas in ihrem Magen zusammenzog.
Harriet Brown öffnete. Sie sah nicht gut aus.
Es gab Frauen, die sie um ihre braune Lockenpracht beneideten. Es waren keine künstlichen Locken, sondern normale, und die standen jetzt wirr vom Kopf ab.
Das Gesicht schien einer Fremden zu gehören, so sehr hatte es sich verändert. Ein trüber Blick, eine bleiche Haut, keine Schminke, blasse Lippen und das schwache Zittern, das die gesamte Gestalt erfasst hatte.
Das war nicht Harriet, das war eine andere Person. So fertig hatte Sheila sie noch nie gesehen.
Harriet schaute ihr entgegen, ohne ein Wort zu sagen. Es fiel ihr schwer, aber jetzt wusste sie, dass etwas passiert war und ihre Hilfe tatsächlich vonnöten war.
Ein Kleid trug sie auch. Es war mehr ein Umhang ohne Ärmel. Er reichte bis zu den Knien. Die violette Farbe passte zum Zustand ihrer Freundin.
»Hallo, Harriet.«
Sie nickte nur.
»Ist alles okay, Harriet? Kann man mir dir reden? Bist du in der Lage, eine Antwort zu geben?«
»Ja, schon.«
»Das ist gut. Darf ich reinkommen?«
Harriet nickte, gab die Tür aber noch nicht frei und überraschte Sheila mit einer Frage. »Wieso kommst du? Waren wir verabredet?«
»Ja, schon. Aber anders, als du es gemeint hast.«
»Wie denn?«
»Du hast mich angerufen.«
»Wann?«
»Vor einer Stunde.«
»Ich?«
»Ja, du.«
»Und was habe ich gesagt?«
»Du hattest Angst.«
»Und wovor?«
»Das weiß ich nicht. Das hast du mir nicht gesagt. Aber du wolltest, dass ich komme. Und jetzt bin ich hier.«
»Das sehe ich. Ich bin nur überrascht.«
»Darf ich denn zu dir in die Wohnung kommen?«
»Sicher.«
Der Weg wurde freigegeben, und Sheila schob sich an Harriet vorbei.
Harriet Brown liebte große Räume. Die hatte sie sich durch einen Umbau geschaffen, aber erst, als ihr Mann weg war.
Sheila schaute sich um, sah weiter vor sich die Treppe, die eine Etage höher führte, und hörte Harriet fragen: »Was zu trinken?«
»Ja, Wasser.«
»Gut. Aber nimm doch Platz.«
»Gern.«
»Du kannst ihn dir aussuchen.«
Es gab in dem großen Raum zwei Sitzecken. Eine war so angeordnet, dass man auf einen riesigen Flachbildschirm schauen konnte.
Der interessierte Sheila nicht. Sie steuerte die zweite Sitzecke an, wo es zwei leichte Sessel und einen runden Tisch gab.
Sheila setzte sich und streckte die Beine aus. Auch Harriet hatte hier gesessen, denn auf dem Tisch standen eine Kaffeetasse und eine Flasche Whisky.
Hoffentlich ist sie nicht betrunken!, dachte Sheila, aber das würde vieles erklären. Sie drehte den Kopf und schaute Harriet zu, wie sie ging. Sie schwankte leicht. Von einem normalen Gehen konnte man da nicht sprechen. Das Wasser hatte sie mitgebracht, aber kein Glas. Sheila nahm ihr die Flasche aus der Hand, deren Verschluss sie noch aufdrehen musste.
Es zischte leise, bevor sie die Flasche an die Lippen setzte und den ersten Schluck trank. Sie wurde von Harriet beobachtet, die erst sprach, als Sheila die Flasche absetzte.
»So, jetzt bist du
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