Der Weg Nach Tanelorn
sanft. »Ich hatte Euch gelehrt, mit Schwert, Schild und Axt umzugehen, als man mich gastlich auf Pyrans Hof aufnahm, nachdem ich vor dem Dunklen Imperium geflohen war. Und Ihr setztet das Gelernte wirkungsvoll in die Tat um, bis von unserer Seite nur Ihr und ich allein auf dem Feld überlebten.«
»Ich entsinne mich«, murmelte Ilian. »Und man verschonte uns nur, weil man sich über uns amüsierte, nachdem man unser Geschlecht entdeckt hatte. Ah, diese Demütigung, als Ymryl mir den Helm vom Kopf riss. ›Du wirst an meiner Seite herrschen«, sagte er. Dann griff er mit einer Hand, die noch vom Blut meiner Leute besudelt war, nach mir und betätschelte mich. »O ja, ich erinnere mich!« Ilians Stimme wurde hart und wild. »Und ich erinnere mich, dass ich in diesem Augenblick schwor, ihn zu töten. Doch dazu war mir nur ein Weg offen, und dem konnte ich nicht folgen. Nein, ich konnte es nicht. Und weil ich mich ihm widersetzte, warf er mich in das Verlies …«
»Und ich hatte Glück, dass ich Euch befreien konnte. Wir flohen. Seine Meute verfolgte uns. Wir kämpften gegen sie und vernichteten sie. Aber Ymryls Zauberer fand uns. In seinem Grimm befahl Ymryl ihm, Euren Geist zu vertreiben.«
»Ja, so war es. Sie griffen an. An mehr entsinne ich mich nicht.«
»Wir hatten uns in der Höhle versteckt. Es war meine Absicht, Euch in meine eigene Welt mitzunehmen, wo ich Euch sicher glaubte. Doch als Eure Seele Euch verließ, war es sinnlos geworden. Ich traf Jhary-a-Conel, der von den gleichen Kräften nach Garathorm gezogen worden war wie Ymryl. Wir überlegten, was wir tun konnten. Eure Erinnerungen befanden sich noch in Eurem Kopf. Es fehlte nur eine – eine Essenz. Also mussten wir eine neue Seele finden. Und Falkenmonds lag damals brach, während er in seinem Turm auf Burg Brass dahinsiechte. So entschlossen wir uns, wenn auch mit ehrlichem Bedenken, zu tun, was getan werden musste. Und jetzt habt Ihr wieder eine Seele.«
»Und Ymryl?«
»Er hält Euch für erledigt. Zweifellos hat er Euch bereits vergessen und bildet sich ein, ganz Garathorm zu beherrschen, ohne etwas befürchten zu müssen. Seine Vagabundenarmee schändet Land und Leute. Und trotzdem haben diese Kreaturen kaum vermocht, die Schönheit Garathorms zu mindern.«
»Ja, Garathorm ist von sanftem Zauber«, bestätigte Ilian. Sie blickte sich um, von wo sie hier am Hang des Berges standen, mit der Höhlenöffnung hinter ihnen. Sie schien ihre Welt aus neuen Augen, wie zum ersten Mal, zu sehen.
Unweit war der Rand des riesigen Waldes – des Waldes, der dieser Welt einzigen Kontinent bedeckte. Von Garathorm abgesehen, war alles Meer mit vereinzelten winzigen Inseln. Die Bäume waren hoch. Manche wuchsen hundert Meter und mehr in die Höhe. Der Himmel war weit und blau, und eine große goldene Sonne schien von ihm herab. Ihre Strahlen kosten Blumen, deren Köpfe bestimmt zwölf Fuß im Durchmesser betrugen. Ihre Farben blendeten schier in ihrer Intensität. Rot-, Blau- und Gelbtöne herrschten hier vor. Schmetterlinge, die in der Größe zu den Blumen passten, flatterten von einer Blüte zur anderen, und ihre Flügelpracht übertraf sogar noch die der Blumen. Ein besonders schöner Falter mit einer Flügelspannweite von zwei Fuß ließ sich gerade auf eine nahe Blume herab. Und zwischen den rankenumschlungenen Baumstämmen flogen große Vögel mit schillerndem Gefieder. Ilian wusste, dass es kaum ein Tier in diesem Wald gab, vor dem die Menschen sich fürchten mussten. Sie atmete genussvoll die würzige Luft ein und lächelte.
»Ja«, sagte sie glücklich. »Ich bin Ilian von Garathorm. Wer’ könnte auch nur den Wunsch hegen, jemand anderer zu sein? Wer möchte anderswo als in Garathorm leben, selbst in diesen Zeiten?«
»Ihr habt ja so recht«, pflichtete Jhary-a-Conel ihr erleichtert bei.
Katinka van Bak wickelte einen großen Pelzumhang aus, der Ilian zuvor nicht aufgefallen war. Mehrere Tontöpfe kamen zum Vorschein. Ihre Deckel waren mit Wachs versiegelt.
»Eingewecktes«, erklärte Katinka van Bak. »Fleisch, Obst und Gemüse. Sie werden uns eine Weile satt machen. Lasst uns jetzt essen.«
Und während sie aßen, erinnerte sich Ilian des Grauens der vergangenen Monate.
Garathorm war vor etwa zwei Jahrhunderten zu einem geeinigten Land geworden, dank der Diplomatie (nicht zu verschweigen dem Machthunger) von Ilians Vorfahren. Und seit dieser Zeit herrschten Frieden und Wohlstand für die Bürger dieses großen bewaldeten
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