Der Weg Nach Tanelorn
Daraufhin schloss man, dass Ymryl und seine Kumpane genau wie Katinka van Bak auf geheimnisvolle, unerklärliche Weise nach Garathorm gekommen waren, um so mehr, da sie offenbar selbst nicht wussten, wie sie hierher geraten waren. Aber die Überlegungen, was sie hierhergebracht hatte, wurden unwichtig. Man musste sich völlig darauf konzentrieren, sich gegen sie zur Wehr zu setzen. Die Wissenschaftler wurden beauftragt, neue Waffen zu erfinden und die Techniker, sie zu entwickeln und selbst wirkungsvolle Methoden zur Vernichtung des Feindes zu ersinnen. Doch sie waren es nicht gewöhnt, sich mit kriegerischen Dingen zu befassen, und deshalb war die Produktion von Waffen nicht ausreichend. Katinka van Bak, Ilian und etwa zweihundert weitere trafen sich gegen Ymryls bunt zusammengewürfelte Armee und erzielten auch einige Siege in kleineren Scharmützeln. Aber als Ymryl soweit war, die baumgeschützte Stadt Virinthorm anzugreifen, tat er es, ohne dass es gelang, ihn aufzuhalten. Zu zwei Schlachten kam es auf einer großen Lichtung außerhalb der Stadt. Bei der ersten Schlacht holte König Pyran die alte Kriegsflagge seiner Ahnen hervor – die brennende Fahne, die in einem seltsamen Feuer flammte und aus unvernichtbarem Stoff gefertigt war. Mit diesem Banner in seiner eigenen Hand ritt er Ymryl an der Spitze eines Heeres von armselig bewaffneten und unausgebildeten Bürgern entgegen. König Pyran wurde mit seinen Leuten niedergemetzelt. Ilian gelang es noch, die flammende Standarte aus der toten Hand zu ziehen, ehe sie mit dem Rest ihrer eigenen, im Kampf geübten Krieger flüchtete – jener Mädchen und Burschen, die sich wie sie für die Kriegskunst begeistert und sie für sich zum Sport gemacht hatten.
Dann kam es zur zweiten und letzten Schlacht, in der Ilian und Katinka van Bak ein paar hundert Überlebende gegen Ymryl führten. Sie hatten sich großartig gehalten, und viele der Invasoren waren unter ihren Klingen gefallen, aber schließlich war die Übermacht der Ymrylarmee doch zu erdrückend. Ilian war nicht sicher, ob überhaupt jemandem aus ihren Reihen die Flucht geglückt war. So wie es aussah, waren sie und Katinka van Bak die einzigen Überlebenden gewesen.
Man hatte sie beide gefangen genommen. Ymryl hatte nicht nur ein wildes Verlangen nach ihr empfunden, sondern auch sofort erkannt, dass er, mit ihr an seiner Seite, keine Schwierigkeiten haben würde, über jene Bürger zu herrschen, die sich immer noch in den Wäldern jenseits von Virinthorm versteckten und des Nachts hervorkamen, um seine Männer im Schlaf zu töten.
Als sie sich weigerte, ihm zu Willen zu, sein, hatte er den Befehl erteilt, sie in den Kerker zu werfen, sie wach zu halten und ihr nur so viel zu essen zu geben, dass sie am Leben blieb. Er hatte gewusst, dass sie sich schließlich einverstanden erklären würden, zu tun, was er verlangte.
Und nun, als sie aß, erinnerte Ilian sich plötzlich, was sie getan hatte – etwas, das Katinka van Bak nicht erwähnte. Da konnte sie kaum noch den Bissen in ihrem Mund hinunterschlucken. Sie drehte sich um, um Katinka van Bak anzusehen.
»Weshalb habt Ihr mich nicht daran erinnert?« fragte sie kalt. »An meinen Bruder …«
»Dafür ist nicht Euch die Schuld zu geben«, versicherte ihr Katinka van Bak. Die Ältere senkte den Blick. »Ich hätte dasselbe wie Ihr getan. Jeder hätte es. Sie folterten Euch.«
»Ich verriet ihnen, wo er sich versteckt hielt. Und sie fanden und mordeten ihn.«
»Sie folterten Euch«, wiederholte Katinka van Bak rau. »Sie marterten Euren Körper. Sie ließen Euch nicht schlafen. Sie gaben Euch nichts zu essen. Sie wollten zweierlei von Euch. Ihr gabt ihnen nur eines. Das war schon ein Sieg!«
»Ihr wollt damit sagen, ich gab ihnen meinen Bruder, statt mich selbst? Und das nennt Ihr Sieg?«
»Unter diesen Umständen, ja. Vergesst es, Ilian. Es gelingt uns vielleicht noch, Euren Bruder – und die anderen zu rächen.«
»Ich habe viel gutzumachen« ,murmelte Ilian. Sie spürte die Tränen in ihren Augen und versuchte, sie zurückzuhalten.
»Es gibt sehr viel zu tun«, erklärte Jhary-a-Conel.
2. Ausgestoßene aus tausend Welten
Die kleine schwarz-weiße Katze segelte hoch über dem Wald in einer warmen Luftströmung. Die Sonne machte sich daran, am Horizont zu versinken. Die Katze wartete geduldig, denn sie zog es vor, des Nachts den Dingen nachzugehen, die sie beschäftigte. Vom Boden aus, wenn man sie überhaupt entdeckte, mochte man sie für
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