Der Weg Nach Tanelorn
Schnee kleben blieben. Es war warm hier im Berg, und es roch recht ungewöhnlich, nach Frühling, wie ihm schien. Er erwähnte es auch, aber da die anderen diesen Geruch nicht bemerkten, fragte er sich, ob nicht vielleicht seinem dicken Pelz Parfümduft anhaftete. Der Boden der Höhle wurde ebener, und das Gehen fiel viel leichter. »Es ist schwer zu glauben, dass dieser Tunnel natürlichen Ursprungs sein soll. Er scheint mir wie eines der Weltwunder«, meinte er.
Sie schritten nun schon eine Stunde dahin, ohne dass sich das Ende des Tunnels abzeichnete. Falkenmond wurde sichtlich nervös.
»Er kann nicht natürlich sein«, wiederholte er. Mit seinen behandschuhten Fingern betastete er die Wand, aber sie fühlte sich nicht an und sah auch nicht so aus, als härten Werkzeuge sie bearbeitet. Er drehte sich zu den beiden anderen um und bemerkte ihren eigenartigen Gesichtsausdruck. Oder täuschte er sich in der Düsternis? »Was meint Ihr, Katinka van Bak?« fragte er. »Ihr kennt doch diese Höhle, diesen Tunnel. Wird er irgendwo in der Geschichte erwähnt? In Legenden vielleicht?«
»Ja«, erwiderte sie kurz. »Aber geht weiter, Falkenmond. Wir werden die andere Seite bald erreicht haben.«
»Wohin führt er denn?« Er drehte sich nun ganz zu ihnen um, dass er ihnen unmittelbar gegenüberstand. Die Lichtkugel in seiner Hand brannte stumpf und färbte in sein Gesicht ein dämonisches Rot. »Vielleicht geradewegs ins Lager des Dunklen Imperiums? Arbeitet ihr beide etwa für meine alten Feinde? Ist das eine Falle? Keiner von euch beiden hat mir wirklich genug erzählt.«
»Wir stehen nicht im Sold Eurer Feinde«, versicherte ihm Katinka van Bak. »Geht weiter, Falkenmond, ich bitte Euch. Oder ist es Euch lieber, wenn ich vorausgehe?« Sie machte einen Schritt an ihm vorbei.
Unwillkürlich legte Falkenmond die Rechte an den Schwertgriff und schob dabei den Pelzumhang zur Seite. »Nein, Katinka van Bak, ich traue Euch, aber trotzdem warnt etwas in mir mich vor einer Falle. Weshalb ist das so?«
»Ihr müsst weitergehen, Held!« sagte Jhary-a-Conel ruhig, während er das Fell seiner kleinen schwarzweißen Katze streichelte, die aus seinem Wams herausgekrochen war. »Ihr müsst!«
»Held? Warum wiederholt Ihr es immer wieder?« Noch fester umklammerte Falkenmonds Hand den Schwertgriff. »Welche Art von Held bin ich denn?«
»Der Ewige Held«, erwiderte Jhary auch jetzt ruhig. »Der Krieger des Schicksals …«
»Nein!« Obgleich die Worte für ihn keinen Sinn ergaben, konnte Falkenmond nicht ertragen, sie zu hören. »Nein!«
Seine Hände flogen zu den Ohren.
In diesem Augenblick stürzten seine beiden Freunde sich auf ihn.
Er war noch immer nicht so kräftig wie vor Beginn seines Wahnsinns, und dazu hatte der anstrengende Aufstieg ihn ermüdet. Er wehrte sich gegen die zwei, bis er Katinka van Baks Dolch an seiner Kehle spürte und ihre beschwörende Stimme hörte.
»Euch zu töten wäre die einfachste Weise, unser Ziel zu erreichen, Falkenmond. Aber sie wäre nicht sehr angenehm. Außerdem möchte ich Euch nicht gern aus diesem Körper reißen, denn es könnte sein, dass Ihr in ihn zurückkehren möchtet. Also werde ich Euch nur töten, wenn Ihr mich dazu zwingt. Versteht Ihr?«
»Ich verstehe Verrat!« erwiderte er wild und wehrte sich noch heftiger, aber genauso erfolglos gegen den Griff der beiden. »Da dachte ich, ich rieche den Frühling, dabei roch ich Verrat – Verräter, die sich als Freunde ausgaben.«
Einer der beiden löschte die Lichtkugel.
»Wo sind wir hier?« fragte er. Wieder spürte er die Dolchspitze am Hals. »Was habt Ihr mit mir vor?«
»Es ging nicht anders, Held«, murmelte Katinka van Bak betrübt. »Es war nicht anders zu machen, Held.«
Es war das erste Mal, dass sie ihn Held nannte – vielleicht, weil Jhary-a-Conel dieses Wort so oft benutzt hatte?
»Wo sind wir hier?« fragte er erneut. »Wo?«
»Ich wollte, ich wüsste es«, erwiderte Katinka van Bak, und ihre Stimme klang fast noch betrübter.
Dann schlug sie ihn offenbar mit dem Panzerhandschuh auf den Kopf. Er spürte den Schlag und erriet, was es gewesen war. Einen Augenblick glaubte er sogar, dass er seinen Zweck, ihn besinnungslos zu machen, nicht erreicht hatte. Doch inzwischen war er bereits in die Knie gesackt, und es schien, als löse sein Körper sich von ihm und verlöre sich in der Schwärze der Höhle.
Und dann wusste er, dass ihr Schlag doch den von ihr beabsichtigen Zweck erfüllt hatte.
ZWEITES
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