Der Weg nach Xanadu
einer bestimmten
Stelle aus betrachtete. Genau an dieser Stelle sei einst eine heidnische
Opferstätte gewesen; »jeden Herbst«, sagte der Mann im Tonfall des Ansagers
einer Gruselserie, »wurde dort oben das Blut eines Königs vergossen.«
Coleridge hatte sich ja bei
Hazlitt darüber beklagt, daß Wordsworth die alten Geistergeschichten der Gegend
als Humbug abtat, nicht geneigt war, wie er sagte, sich vom Aberglauben
beflügeln zu lassen, und deshalb seinen Gedichten eine Art Kleinkariertheit, a
matter-of-factness anhaftete. Inmitten dieser gewaltigen Trümmer war es
tatsächlich schwierig, nicht an Geister zu glauben.
Coleridge verlegte sogar den
Schauplatz eines seiner Texte in die Landschaft des Valley of Rocks, allerdings
erst, nachdem er ihr die Haut abgezogen hatte, sodaß nur die nackten Felsen
übrigblieben, der Sand und die Abgründe. The Wanderings of Cain 8 heißt der Fragment
gebliebene »Prosagesang«, um dessen Bilderwelt sich derart verschlungene
Geheimnisse seiner Kindheit und seiner halberwachsenen Existenz ranken, daß er mir
wie ein Thyrsos erschien, von Dionysos selbst hier in die Felsen gesteckt, auf
daß die Tänze der Erinnerung beginnen können.
Das Thema selbst war ein
Seitenarm jenes Hauptflusses, den Coleridge »Ursprung des Bösen« nannte und dem
er nie bis zu seiner Mündung gefolgt ist.
Mit sieben Jahren hatte er
einen seiner neun älteren Brüder, nachdem dieser der Mutter Samuels Käseration
abspenstig machen wollte, mit einem Küchenmesser angegriffen; nur durch die
Geistesgegenwart der Mutter konnte das Schlimmste verhindert werden. Samuel
nahm die Tatsache, daß die Mutter ihn nicht den Bruder erstechen ließ,
persönlich und floh in den Wald zum Ufer des Flusses Otter, wo er, zitternd vor
Angst, eine gewitterdurchwütete Nacht verbrachte, in der Hoffnung, sie würde
kommen, um ihm zu sagen, daß ihm allein ihre Liebe gehöre. Die anderen neun
haben keinen Platz in meinem Herzen, Samuel, aller Käse gehört dir.
Kaum hatte das Schicksal
Coleridge die neun bösen Brüder durch den einen guten, Wordsworth, ersetzt, war
das Thema wieder da. Aber diesmal, im November 97, wollte er das Messer nicht
alleine wetzen. Eine Gemeinschaftsarbeit sollte es werden, William war die
Abfassung des ersten Teiles zugedacht, die Ermordung Abels; Coleridge Teil
zwei, die Wanderungen des schuldbeladenen Mörders durch die Wüste. Wer
schneller fertig war, sollte Teil drei entwerfen und das Gedicht zu einem
Abschluß bringen. Fast dreißig Jahre später beschrieb Coleridge, wie er am
Morgen nach dem Pakt von Stowey nach Alfoxden rannte, das fertige Manuskript in
der Tasche, und dort auf Wordsworth traf, der über einem weißen Blatt Papier
saß und ihn nur milde anlächelte. Es war aber kein Lächeln, das beschämt
Versagen ausdrückte, sondern ein überlegenes, vernichtendes Lächeln, das
Coleridge, so schreibt er in devoter Haltung, mit einem Schlag »die
Lächerlichkeit des gesamten Konzeptes« vor Augen führte. Der große Bruder hatte
ihn wieder besiegt, und das ganze Unternehmen endete in Gelächter.
Erst 1826 sollte er sich dazu
durchringen, jenen in einer Nacht »mit voller Fingergeschwindigkeit« verfaßten
Canto II zu veröffentlichen, allerdings nicht ohne ein Vorwort, das nicht
aufhören kann, die inferiore Qualität und Nichtigkeit des Textes in geradezu
unterwürfigem Gestus zu betonen. Das Überraschende an dieser kokett wirkenden
Entschuldigungssuada ist aber der dazwischengeschobene Ton, eine Art
distanzierte Traurigkeit oder gefestigte Melancholie, ein Ton, der sich immer
dann vernehmen läßt, wenn Coleridge sein großes Thema streift: das Ende seines
inspirierten Schreibens. »Widrige Winde«, heißt es, hätten »sein Schiff
weggetrieben von den »Glücklichen Inseln‹ der Musen: und dann bewirkten andere,
bedeutsamere Interessen eine andere Reise, hin zu einem festeren Anker und
einem sichereren Hafen.«
Williams erbarmungsloses
Lächeln war wohl schon ein erstes widriges Lüftchen, ein Vorbote der späteren
Stürme.
Im Canto II von The
Wanderings of Cain streift der Held durch einen mondbeschienenen
Tannenwald, gemeinsam mit seinem Sohn Enos, der ihn zu jener Stelle führen
will, an der er eine Wasserkaraffe und einen Kuchen gefunden hat. Laute Klagen
des Vaters erschrecken das Kind, aber durch nichts ist Kain zu trösten. »Ich
sehne mich danach, zu sterben«, schreit er in die Nacht, »denn die Wolken des
Himmels sehen voller Entsetzen zu mir herab.« Enos läuft
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