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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Coleridge vor.
    Etwas von seinem Blut.
     
    Es war schon dunkel, als ich
vom Castle Rock aufbrach und den gewundenen Weg, den Schlangenpfad,
hinunterging zur Straße. Auf den Spuren der Reisebusse wanderte ich zurück zum
Hotel. Aus der Tiefe meines Magens meldete sich ein gewaltiges Murren, eine
klagende Stimme aus der Wüste.
    Es wurde Zeit, meinem eigenen
Gott, greater than Jehova, ein Steak zu opfern.
    Hinter meiner Stirn brannte ein
Satz, ein flammendes Menetekel, das erst nach dem ersten Bier langsam
verlöschte. »The Lord is God of the living only, the Dead have another God.«

Sechzehn Anna kam einfach zur Tür herein, sie mußte sich von meinem Landlord einen
Zweitschlüssel geliehen haben; vielleicht hatte ich auch einfach vergessen,
abzuschließen. Der Rasierapparat fiel mir aus der Hand, Anna zog mich vom
Bettrand hoch und sagte nur: »Komm.« Die Wucht der Überraschung führte zu einer
vorübergehenden Paralyse meiner Vernunftreste, ich mußte ihr vorkommen wie ein
Dorfkind, dem die schwarze Madonna von Tschenstochau erschienen ist. »Zieh dir
was an«, sagte sie, »und beeil dich. Ich hab’s gefunden.« Brav zwängte ich
meinen Leib in Hose und Hemd, dackelte hinter ihr her, die Stiegen hinunter, raus
aus dem Hotel; im Gegenlicht der Morgensonne sah ich Sillery Sands als
dunkelgraue Tatze einer Riesenkatze auf der hellgrauen Meeresdecke liegen. Wenn
die Sonne höher stieg, würde das Licht die blutverschmierten Krallen aus der
Tatze fahren lassen, und der Tag konnte beginnen, mit seinen Farben zu protzen.
    Anna blickte sich gelegentlich
um, ob ich ihr folgen konnte — es ging, die Straße führte steil bergab, ich
mußte nur dafür sorgen, daß meine Knie und Sprunggelenke die talwärts strebende
Masse abfederten. Wo wollte Anna bloß hin? In Lynton konnte das Zimmer kaum
sein — es sei denn, ich hatte etwas übersehen. Unsere Minikarawane zog an so
manchen Oasen vorbei; vor dem Crown Hotel blieb ich kurz stehen, man hatte mir
noch kein Frühstück gegönnt, doch ein Blick von Anna setzte mich wieder in
Bewegung. Jetzt bog sie rechts ab, ach so, der Busparkplatz, sie wollte wohl
auf eine kleine Reise gehen. Busse waren allerdings noch keine da, dazu war es
zu früh, egal, sagte ich mir, nichts Schöneres unter der Sonne als mit Anna in
der Morgendämmerung auf den ersten Bus zu warten. Ich wollte Anna gerade
fragen, wo es hingehen sollte, wie sie mich gefunden hatte und dergleichen, als
sie in ihre Hosentasche griff, einen Schlüsselbund hervorholte, quer über den
Platz lief und sich an der Tür des Verwaltungshäuschens der Bus Company zu
schaffen machte. Anna hatte offensichtlich zu jeder Tür hier einen Schlüssel.
Sie winkte mir, und ich folgte.
    Über dem niedrigen Türstock
hing ein Schild. Devon Enterprises, stand da in roten Lettern, 1797-1997 .
Sie feierten also dieses Jahr ihr Jubiläum. Anna war schon nicht mehr zu sehen,
ich mußte mich beeilen und tauchte durch.
    Wo ich ein ebenerdiges Büro
erwartet hatte, führte eine steile Treppe nach unten. Ob sich die Busfahrer mit
ihren Chefs immer im Keller getroffen hatten zur Fahrplanbesprechung? Seit
1797, als die Devon Enterprises noch Pferdegespanne durch die Grafschaft
geschickt hatten?
    Schon nach ein paar Stufen war
es vollkommen dunkel. Ich stieß an eine Wand, zückte mein Feuerzeug und sah —
eine Aufzugstür. Auch dafür, dachte ich, muß es eine logische Erklärung geben.
    Eine Ruftaste gab es auch. Kaum
hatte ich sie gedrückt, hörte ich schon das von Hotelaufzügen vertraute
Geräusch, dieses mit einem Glockenton korrespondierende Einrasten eines
schwebenden Metallkörpers. Die Lifttür entriegelte sich, Anna griff nach meiner
Hand und zog mich hinein.
    Wenig Platz für zwei Personen.
Kein Problem, denn die zweite Person war Anna. Wohin sollte es gehen? Zwischen
zweihundert Stockwerken konnte ich wählen, die Knöpfe blitzten mich an,
Uniformknöpfe eines unsterblichen Busfahrers durch zweihundert Jahre
Geschichte. Eine Jahreszahl stand neben jedem Knopf, und so manche war
verlockend. Dennoch überlegte ich nicht lange.
    Unterster Knopf, was sonst.
Längere Fahrt. Nichts Schöneres unter der Erde, als eng mit Anna in die Tiefe
zu sausen. 1797. Binnen Sekunden blieb der Aufzug stehen. Zuerst dachte ich,
wir wären steckengeblieben, so schnell konnten wir nicht nach unten gelangt
sein. Doch die Tür öffnete sich, und diesmal zauderte ich nicht. Ein kleiner
Schritt für mich, ein großer für —
    Wasser spritzte hoch,

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