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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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zwar viele Aspekte des visionären Schubs, aber nicht dessen
abruptes Ende.
    Seltsam ist jedoch, daß kaum
jemand sich die Mühe macht, den wahren Experten zu befragen: Samuel Taylor
Coleridge. Seine Notizbücher und Briefe sind ab der Ankunft in Cuxhaven im
September 1798 voller irritierender Passagen. Die Deutschlandreise vermittelt
den Eindruck einer panikartigen Flucht; auf dem Schiff leert er die Weinvorräte
eines dänischen und eines hannoveranischen Mitreisenden, tanzt mit ihnen »a
sort of wild dance on the Deck«, ausgelassen und befreit, als wäre er dem
Leibhaftigen entronnen.
    Drei Monate sollte der
Aufenthalt dauern, länger wollte Sarah die Kinder nicht alleine am Hals haben.
Am 14. Mai 1798 war der zweite Sohn, Berkeley, zur Welt gekommen, und Sarah
hatte monatelang vergeblich versucht, ihrem Gatten die Reise auszureden.
Schließlich fand sie sich damit ab und ließ ihn ziehen. Unter einer Bedingung:
spätestens zu Weihnachten sollte er wieder in Stowey sein.
    Trotz ständiger brieflicher
Beteuerungen, wie sehr ihm die Familie fehle, verbringt Coleridge die
Weihnachtsfeiertage mit einem Pastor und dessen Kindern in Ratzeburg.
    (William und Dorothy hatten
sich schon nach Goslar verabschiedet - dort war es billiger und rustikaler.) Im
Januar 1799 teilt er Poole — nicht etwa Sarah — brieflich seine neuen Pläne
mit. Nach Göttingen sollte es gehen, an die berühmte Universität. Geplantes
Ende des Aufenthalts: Mai.
    In den Notizbüchern findet sich
kein Hinweis darauf, daß Coleridge auch nur einen Gedanken daran verschwendet
hätte, wie verheerend sich diese Ankündigung auf Sarahs Gefühle auswirken
mußte. Überlegungen zur Philosophie von Kant, Beschreibungen kurioser Bräuche,
Anmerkungen zu seiner geplanten Lessing-Biographie — aber kein Wort über die
gebrochene Abmachung mit seiner Frau. Man kann sich des Eindrucks nicht
erwehren, daß er schon an Deck des Schiffes nach Cuxhaven gewußt hatte, wie
lange er wirklich wegbleiben würde.
    Am 11. Februar 1799 stirbt
Berkeley Coleridge nach einem völlig überraschenden Fieberanfall in den Armen
seiner Mutter. Sarah erleidet einen Nervenzusammenbruch. Poole, der sich seit
der Abreise seines Freundes um sie kümmert, hilft ihr über die schrecklichsten
Momente hinweg, so gut er es vermag. Kaum ist sie wieder halbwegs auf den
Beinen, unterbreitet er ihr einen seltsamen Vorschlag: Sie solle doch bitte
Samuel nichts vom Tod seines Sohnes berichten. Schließlich leide der Vater an
einer »Über-Fürsorge« für seine Kinder, und die üble Nachricht würde seinen
Arbeitseifer erlahmen lassen. Anstatt Poole zum Teufel zu jagen, läßt sie sich
darauf ein und schweigt.
    Erst am 15. März teilt Thomas
Poole, taktvoll wie immer, seinem Freund die schlechte Nachricht mit. Coleridge
erhält den Brief am 4. April in Göttingen.
    Seine Reaktionen sind
erstaunlich. Er unternimmt eine lange Wanderung ins Umland von Göttingen, wirft
Steine in den Fluß. Er kann nicht weinen, notiert er, die Trauer dringt nicht
bis zu seinem Herzen vor. Dafür zerfrißt ihm ein Gefühl die Eingeweide, das ihn
bis zu seinem eigenen Ende nicht mehr loslassen wird: Schuld.
    Das Verblüffendste aber ist: er
wirkt nicht überrascht.
    Er reagiert, als hätte er es
bereits gewußt.
    Und als hätte er etwas damit zu
tun.
     
    Endlich kommt ein Brief von
Sarah. »Ich kann gar nicht ausdrücken«, schreibt sie, »wie brennend ich mich
nach Deiner Rückkehr sehne, oder wie groß meine Enttäuschung sein wird, wenn
ich Dich im Mai nicht sehe.«
    »Berkeleys Tod«, antwortet
Coleridge, »verstärkt meine Unzufriedenheit mit Priestleys Doktrin über die
künftige Existenz von Kindern.« Was für ein Trost. Eine kleine Beigabe schickt
er gleich mit: eine Art Epitaph über den Tod eines Kindes, der ihn sehr
erschüttert habe.
    Der Tod der Tochter eines
Freundes.
    Ein fetter Braten auf dem
Teller jedes Psychologen, keine Frage. Bei jedem Schnitt mit dem Messer schreit
es »Verdrängung!« aus dem Fleisch, und schon ist die Sache gegessen. Und doch:
etwas spießt sich, verbiegt das analytische Besteck.
    In einem Brief an Poole gesteht
Coleridge offen, daß er sich die Schuld am Tod seines Sohnes gibt. Selbst das
könnte noch als Beilage auf den Teller passen; wirklich schwierig wird die
Erklärung erst angesichts der Panik, die schleichend, aber unaufhaltsam in Coleridges
Schädel kriecht: Was ist, wenn Hartley der nächste ist?
    »Ich hoffe«, schreibt er an
Poole, »er wird nicht tot sein, wenn

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