Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)
das? Ich kann dich hören. Weißt du, wer ich bin?«
»Natürlich weiß ich das. Du bist mein süßer Junge, der längst groß und erwachsen ist. Schau dich an! Du bist ein wirklich attraktiver Mann.«
Plötzlich drückte Clarence sie an sich. Tony wusste nicht, wie und warum es funktionierte, aber jedenfalls gelang es. Es war, als wäre Clarence hier drinnen bei ihnen beiden und doch nicht. Wenn sie innen lächelte, lächelte sie auch außen. Wenn sie auf der Innenseite ihre Arme ausbreitete, lag Clarence draußen in ihren Armen. Irgendwie geschah es, dass sie geistig völlig präsent und bei ihm war. Clarence schluchzte, die Monate leidvollen Verlustes brachen sich Bahn. Tony schaute Maggie an, der Tränen übers Gesicht liefen.
»Mama, ich habe dich so vermisst! Es tut mir so leid, dass wir dich hier unterbringen mussten, aber niemand von uns konnte sich so um dich kümmern, wie es notwendig gewesen wäre. Und ich hatte noch nicht einmal die Möglichkeit, mich von dir zu verabschieden …«
»Sei ganz ruhig und unbesorgt, mein Kind, mein Baby.« Amelia setzte sich hin – eine kleine, zarte Frau, die ihren erwachsenen Sohn liebevoll in den Armen hielt und ihm über den Kopf strich.
Tony weinte. Erinnerungen an alles, was er nach dem Tod seiner Mutter so schrecklich vermisst hatte, überfluteten ihn. Aber es war ein guter Schmerz, ein richtiges Sehnen, eine echte Verbundenheit, und er ließ es geschehen, dass dieses warme, starke Gefühl ihn trug.
»Mein Baby«, flüsterte sie. »Ich kann nicht lange bleiben. Dieser Moment ist ein Geschenk Gottes, eine unerwartete Kostbarkeit, ein Vorgeschmack auf etwas, das du dir nicht vorstellen kannst. Sag mir rasch, wie es allen in der Familie geht! Bring mich auf den neuesten Stand.«
Das tat er – erzählte seiner Mutter von den Babys, die geboren worden waren, beruflichen Veränderungen, den jüngsten Plänen ihrer Kinder und Enkelkinder, den Ereignissen des Alltags, die trivial erscheinen und doch ewiges Gewicht haben. Lachen und Tränen waren nur einen Atemzug voneinander entfernt. Dann stellte Clarence seiner Mutter Maggie vor, und die beiden schlossen auf Anhieb Freundschaft.
Tony war überwältigt von der Heiligkeit des Alltäglichen, den Lichtfunken, von denen die einfachen Routinen und Aufgaben des Gewöhnlichen umgeben waren. Nichts war mehr gewöhnlich.
Eine Stunde verging, und Amelia wusste, dass die Zeit des Abschieds nahte. »Clarence?«
»Ja, Mama?«
»Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
»Aber selbstverständlich, Mama. Was kann ich für dich tun?«
»Wenn du mich wieder besuchen kommst, würdest du dann deine Gitarre mitbringen und mir etwas darauf vorspielen?«
Clarence war überrascht. »Mama, ich habe seit Jahren nicht mehr Gitarre gespielt, aber wenn es dir Freude macht, will ich es gerne tun.«
Amelia lächelte. »Es würde mir große Freude machen. Ich vermisse es sehr, dich spielen zu hören. Manchmal, wenn ich sonst gar nichts hören kann, höre ich Musik, und das tröstet mich.«
»Dann, Mama, werde ich liebend gern für dich spielen. Wahrscheinlich wird das auch mir guttun.«
»Ganz sicher wird es das«, sagte sie voraus. »Denke immer daran: Wo auch immer ich gerade in meiner inneren Welt herumwandere, ich kann dich in deiner Musik hören.«
Sie sagte Clarence, dass es Zeit wäre, sich zu verabschieden. Er nickte, und ihre letzte Umarmung war lang und voller Zuneigung. Drinnen streckte Amelia Tony die Hand entgegen, der hinter ihr stand. Er ergriff sie, und Amelia drückte seine Hand ganz fest. Sie wandte sich von dem Fenster ab und flüsterte leise: »Anthony, ich kann Ihnen gar nicht genug danken! Das ist eines der größten Geschenke, das mir jemals ein Mensch gemacht hat.«
»Ich habe es wirklich gern getan, Amelia, aber in Wahrheit war es Gottes Idee. Es ist mir eine Ehre, dass ich dabei mitwirken durfte.«
Amelia drehte sich noch einmal um und sagte: »Maggie, komm zu mir, meine Liebe.« Sie nahm Maggies Hände in ihre und sagte sanft: »Maggie, du lässt mein Mutterherz höher schlagen. Ich will gar nichts prophezeien.« Sie lachte leise und froh. »Aber du verdienst nur das Beste.«
Maggie neigte den Kopf. »Danke, Mrs. Wal…«
»Mama, meine Liebe, nenne mich einfach Mama.«
»Danke … Mama.« Im nächsten Moment beugte sich Amelia vor und küsste sie auf den Kopf. Wieder glitt Tony davon.
Die Autofahrt zu ihrem nächsten Ziel verlief größtenteils schweigend. Alle hingen ihren eigenen Gedanken nach.
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