Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)
persönlich.
»Okay, okay, das genügt!«, rief er. Sie lächelten beide, und ihre Lippen lösten sich voneinander.
Clarence ging zu seiner Mutter. »Hallo, Mama, hier ist Clarence, dein Sohn.«
»Entschuldigung.« Sie schaute weg, ohne eine Spur des Erkennens im Gesicht. »Wer sind Sie?«
»Clarence, dein Sohn.« Er beugte sich über sie und küsste sie auf die Stirn. Sie lächelte, und zum zweiten Mal wechselte Tony in ein anderes Bewusstsein hinüber.
Dieser Ort war anders als alle anderen, die er bislang gesehen hatte. Das Licht war seltsam gedämpft, alles schien weit weg und wie mit Raureif überzogen. Er schaute nun in Clarence’ Gesicht, das hoffnungsvolle Erwartung zeigte.
»Mrs. Walker?« Seine Stimme hallte von unsichtbaren Wänden wider, als sei er in einem Metallzylinder eingeschlossen. »Mrs. Walker?« Er versuchte es erneut, aber da war nichts, nur der Nachhall seiner eigenen Stimme. Durch Mrs. Walkers Augen konnte Tony sehen, dass Clarence sich zu Maggie gesetzt hatte und sie zusammen warteten. Er hatte sich die Botschaft sorgfältig eingeprägt, die er Clarence’ Mutter überbringen sollte. Aber es schien niemand zu Hause zu sein, der sie in Empfang nehmen konnte.
Plötzlich fragte er sich, wie er eigentlich hier wieder herauskommen sollte? Darüber hatte er sich gar keine Gedanken gemacht, und nun geriet er in Panik. War er am Ende hier gefangen? Und für wie lange? Bis Mrs. Walker starb? Oder würde seine Seele zu seinem Körper in die OHSU zurückkehren, wenn dieser aufhörte zu kämpfen und starb? Beide Möglichkeiten schienen wenig erfreulich. Ein Gefühl von Klaustrophobie befiel ihn. Vielleicht konnte er zurückkehren, wenn Clarence sie erneut küsste. Er war sich nicht sicher, und diese Ungewissheit bereitete ihm immer größeres Unbehagen.
Aber es war richtig, hier zu sein. Das fühlte er deutlich. Clarence’ Wunsch zu erfüllen fühlte sich weiterhin wie eine gute Entscheidung an. Dieser Gedanke bewirkte, dass er sich beruhigte. Wann hatte er zum letzten Mal etwas für einen anderen Menschen getan, ohne Bedingung, frei von Hintergedanken? Er erinnerte sich nicht. Möglicherweise saß er nun tatsächlich in der Falle, aber er akzeptierte es mit einem Gefühl der Befriedigung.
Dann fiel ihm die hüpfende Drehung ein, die Großmutter ihm gezeigt hatte. Er probierte es aus. Nachdem er sich herumgedreht hatte, schaute er auf eine dunkle Wand. Seine Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit anzupassen, aber dann konnte er im Dämmerlicht Türen erkennen. Er ging auf die erste zu, und sie ließ sich ohne Schwierigkeiten öffnen. Dahinter war es so hell, dass er wegschauen musste, bis seine Augen sich wieder justiert hatten. Er sah, dass er am Rand eines reifen Weizenfeldes stand. Es erstreckte sich, so weit das Auge reichte, und die Halme tanzten im Rhythmus einer sanften Brise. Es war ein wunderschöner, einladender Anblick, aber Tony schloss die Tür, sodass ihn wieder die tintenschwarze Dunkelheit umfing.
Plötzlich hörte er jemanden leise summen. Er drehte den Kopf hin und her, um die Quelle des Geräusches auszumachen. Langsam tastete er sich in die Richtung vor, aus der es zu kommen schien. Er drehte sich um, und im weichen Licht konnte er draußen vor Mrs. Walkers Augen Maggie und Clarence sitzen sehen, die sich bei der Hand hielten und abwarteten, was geschah.
Die Stimme erklang eindeutig hinter der dritten Tür. Der Riegelmechanismus war ihm aus seinem eigenen Herzen vertraut. Ihn auch hier anzutreffen machte Tony lächeln. Die Tür schwang auf, und er betrat einen großen, weiten Raum. Entlang der mit Mahagoni und Kirschholz getäfelten Wände standen hohe Regale voller Bücher. Die freien Bereiche dazwischen waren mit Erinnerungsstücken übersät, mit Fotos und Kunstgegenständen. Das vergnügte Summen war nun nicht mehr weit entfernt. Tony ging um eine weit in den Raum hineinragende Regalwand herum und blieb stehen. Da war sie, die Frau, die er gesehen hatte, nur viel jünger und sehr lebendig und aktiv.
»Anthony?«, fragte sie. Ihr Lächeln erhellte die Weite des Zimmers.
»Mrs. Walker?«, sagte er verblüfft.
»Amelia, bitte.« Sie lachte. »Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir, junger Mann. Ich habe Sie schon erwartet.«
Er folgte ihrer Bitte. Sie reichte ihm eine große Tasse dampfenden schwarzen Kaffee, die er dankbar annahm.
»Woher wussten Sie denn, dass ich kommen würde?«
»Ich bin nicht allein hier, Anthony. Ich habe viel Gesellschaft.
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