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Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)

Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)

Titel: Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Paul Young
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Kette von Entscheidungen gewesen, und er hatte dabei gerne geblufft, sich selbst und anderen vorgemacht, stets genau zu wissen, welche Resultate seine Entscheidungen bringen würden – dass sie eine logische Folge seiner überaus korrekten Analysen waren und sicher auf seinem brillanten Urteilsvermögen aufbauten.
    Tony hatte sich eifrig bemüht, bei Entscheidungen auf Nummer sicher zu gehen, irgendwie die Zukunft zu kontrollieren, indem er eine Aura intelligenten Vorauswissens um sich verbreitete. In Wahrheit, das wusste er heute, ließen sich niemals alle Eventualitäten und Konsequenzen vorhersehen, und um diese Diskrepanz zu überdecken, musste man eben auf Marketing und Imagebildung zurückgreifen. Immer wieder gab es Variablen, die sich jeder Kontrolle entzogen. Um mit diesen Unwägbarkeiten fertigzuwerden, hatte er die Methode entwickelt, seiner Umgebung etwas vorzumachen und die Illusion persönlicher Allwissenheit zu erzeugen. Aber es war eine aufreibende Herausforderung, den Propheten zu spielen, wo sich doch alle Dinge immer wieder als so unvorhersehbar erwiesen.
    Nun sah er sich mit drei Wahlmöglichkeiten konfrontiert, ohne die leiseste Ahnung, welche Konsequenzen jede von ihnen nach sich ziehen würde. Zu seiner Überraschung entdeckte er in diesem Nichtwissen eine neue Art von Freiheit – er erwartete nichts, und deshalb würde er sich hinterher nicht schuldig fühlen, wenn die Entscheidung sich als falsch herausstellte. Er wusste nichts und war daher frei, einfach eine der drei Richtungen zu wählen. Diese Autonomie war aufregend und erschreckend zugleich, denn alles konnte sich als Drahtseilakt zwischen Feuer und Eis erweisen.
    Eine nähere Betrachtung der drei Pfade half nicht weiter. Einer wirkte vielleicht am Anfang leichter begehbar, aber das sagte nichts darüber aus, was Tony möglicherweise hinter der nächsten Biegung erwartete. Er stand da, ganz erstarrt angesichts der Freiheit dieses Augenblicks.
    »Ein im Hafen liegendes Schiff kann man nicht steuern«, sagte er leise und wählte den mittleren Pfad. Er prägte sich die Umgebung genau ein, für den Fall, dass er umkehren musste. Umkehren wohin? Er wusste es nicht.
    Zweihundert Meter weiter auf dem Pfad, den er gewählt hatte, stand er erneut vor einer dreifachen Gabelung. Wieder musste er überlegen und entscheiden. Er schüttelte den Kopf, zögerte nicht lange und nahm den Weg, der nach rechts und aufwärts führte. Auch diese Wendung vermerkte er in seinem mentalen Notizbuch. Auf den folgenden gefühlt etwa eineinhalb Kilometern musste Tony mehr als zwanzig solche Entscheidungen treffen, und inzwischen hatte er die mentale Gymnastik aufgegeben, sich in einem solchen Labyrinth den Weg merken zu wollen. Um sicherzugehen, hätte er vermutlich jedes Mal den mittleren Weg nehmen müssen. Stattdessen war seine Reise ein wildes Gemisch aus rechts, links, aufwärts, abwärts und geradeaus. Er hatte das Gefühl, sich hoffnungslos verirrt zu haben, wobei dies aber ja eigentlich eine klare Vorstellung von seinem Ausgangspunkt und Ziel vorausgesetzt hätte. Das völlige Fehlen dessen machte ihn nur noch verwirrter.
    Was, wenn es gar nicht darum geht, irgendwo hinzugelangen?, fragte er sich. Wenn es hier gar kein Ziel gibt? Als der Druck, irgendwo »ankommen« zu müssen, nachließ, verlangsamte Tony unwillkürlich seine Schritte und fing an, der Welt um ihn herum mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Kein Ziel zu haben hatte durchaus seine Vorteile. Kein Terminstress und keine Zeitpläne, nur das Staunen über seine Umgebung. Je mehr er sich für sie öffnete, desto mehr ließ seine quälende Frustration darüber nach, sich so völlig orientierungslos zu fühlen.
    Manchmal führte der Weg ihn durch alten Waldbestand, ein Wunder aus mächtigen Baumriesen, die in ihrer Pracht fast Schulter an Schulter standen, sodass ihre ineinander verschlungenen Arme in scheinbarer Solidarität den Boden unter dem gemeinsam gebildeten Dach verdunkelten. »In meinem Leben ist nicht viel Altes übrig«, dachte er. »Was ich nicht verkauft habe, habe ich verbrannt.«
    Ein Pfad führte ihn durch eine steile Falte im felsigen Gesicht des Berges hindurch. Sie war fast wie eine Höhle, und unwillkürlich ging er schneller, aus Angst, diese Kluft könnte sich plötzlich schließen und ihn in ihrem steinernen Griff zermalmen. Ein anderer von ihm gewählter Weg führte ihn durch ein Gebiet, wo vor längerer Zeit ein Feuer dem Wald das Herz herausgerissen und nur die Skelette

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