Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
Bildlich gesprochen, installieren wir ein mentales Verkehrsnetz, dessen Ausdehnung und Struktur abhängig ist vom Verkehrsaufkommen. Erleben wir häufig Glück, so wird die dafür ausgeschilderte Nervenleitung zur Autobahn, erleben wir es selten, wird diesem nur ein Sträßlein eingeräumt.
Was fatalerweise ebenso für Unglück gilt. Denn als Gewohnheitstiere bevorzugen wir ausgetretene Pfade– mit der Folge, dass die gut gespurten Strecken sich immer mehr verbreitern. Unbewusst von einem inneren Autopiloten gesteuert, schlagen Menschen die gleiche Strecke ein, auch wenn das Ziel sich ein ums andere Mal als Schlamassel entpuppt. Aufgrund neurologischer Erkenntnisse widerspricht die Positive Psychologie deshalb dem Rat, man solle seinem Ärger nur Luft machen. Für einen Moment fühle man sich vielleicht tatsächlich erleichtert, räumt der Mediziner Eckart von Hirschhausen ein: »Das Dumme ist nur, wir lernen alles, was wir oft tun. Das heißt, wenn ich mich scheinbar befreie von dem Ärger, habe ich währenddessen nur gelernt, mich beim nächsten Mal noch leichter zu ärgern. Ich habe die Bahnen im Hirn, die für den Ärger zuständig sind, sozusagen besser geölt.« Statt den Stau mit steigendem Groll zu verschlimmern, könne man beispielsweise eine CD einlegen, laut mitsingen und so die gewohnte Reaktion unterbrechen. 70
Aber nicht nur aufgrund von Konditionierungen sind Unglücksraben in der Regel Wiederholungstäter. Nach ihrer Auslegung vom Pech verfolgt, ziehen pessimistische Menschen auch Genugtuung daraus, dass ihre Schwarzmalerei sich bestätigt. »Das Tragische im Leben vieler Menschen ist, dass sie sich, vor die Wahl gestellt, ›recht‹ zu haben oder die Chance, glücklich zu sein, für das ›Rechthaben‹ entscheiden… Wenn ich weiß, dass es mein Schicksal ist, unglücklich zu sein, so darf ich nicht zulassen, dass die Realität mich mit Glück verwirrt«, erläutert der Psychotherapeut Nathaniel Branden 71 , weshalb Menschen sich selber ein Bein stellen oder ihre Erfolge als Betriebsunfall herunterspielen.
»Wenn ich mein neues Buch sehe, freue ich mich nicht, nein: Ich suche nach Druckfehlern«, beschreibt Rafik Schami seinen neuen Charakterzug, den der syrische Schriftsteller mit dem Einfluss deutscher Mentalität erklärt. 72 Gewiss, unsere Vorstellung und unser Ausdruck von Glück und Unglück werden auch durch nationale Eigenschaften geprägt. (Ein deutscher Schlager beginnt so: »Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon wieder da. Habt ihr auch so gut geschlafen, na, dann ist ja alles klar.«)
Die wichtigste Brutstätte unserer Lebenseinstellung ist jedoch die Kinderstube. Ob jemand grundsätzlich zuversichtlich ist oder ob er meist den Teufel an die Wand malt, ob er neugierig seinen Horizont erweitert oder ob er sich einengt, weil er sich von Gefahren umzingelt fühlt, hängt im Wesentlichen vom Vertrauen in eigene Fähigkeiten ab. Das Selbstwertgefühl wiederum fußt darauf, welche Antwort man als Kind auf die indirekt gestellte Frage bekam: Habe ich Glück verdient? Oder bin ich eigentlich des Glücks nicht würdig?
Neurotische Selbstbestrafung
Wird das Grundvertrauen zu sich und anderen nicht aufgebaut, entsteht häufig ein unbewusster Konflikt, den wir als neurotische Störung bezeichnen. Dass Menschen provozieren, worunter sie leiden, erklärt Karen Horney, einer der weiblichen Pioniere der Psychoanalyse, mit der unbewussten Gegnerschaft zu sich selbst. Aufgrund einer missglückten Elternbeziehung in einer notwendigen Eigenliebe nicht bestärkt und als Persönlichkeit wenig gefestigt, wird ein neurotischer Mensch von Sehnsucht und Selbstbestrafung in entgegengesetzte Richtungen getrieben. Auch seine Wünsche sind infolge seiner Ich-Schwäche gespalten. Zwar kann er durchaus genießen. Das kommt jedoch selten vor, da es an viele Bedingungen geknüpft ist und seine Bedürfnisse sich oft widersprechen. So ist beispielsweise ein Neurotiker erleichtert, dass jemand anderes die Führung übernimmt, doch gleichzeitig verübelt er, dass jemand ihm sagt, wo es langgeht. Unsicher, wen oder was sie lieben, was sie wünschen, was sie hoffen, fassen Menschen mit einer neurotischen Persönlichkeitsstruktur Gefühle insgeheim als Schwachstelle auf. Ihre schnelle Kränkung, übergroßen Befürchtungen und Verkomplizierungen machen Phasen der Zufriedenheit äußert störanfällig.
Die Tragweite der Neurose zeigt sich in sozialen Beziehungen. Da Ich-Unsicherheit verhängnisvoll einhergeht
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