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Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert

Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert

Titel: Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina von Kleist
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haarig, aber ich kenne auch den Fall, dass die erworbene Behinderung wie eine Genugtuung erlebt wird, den eigenen Pessimismus bestätigt zu kriegen. Sie sagen: ›Ich wusste ja schon immer, dass mich das Leben bestraft.‹ Und dann müssen andere für das von ihnen Erlittene Buße tun. Es gibt auch das Wetteifern: Wer hat es schwerer? Ich erlebe oft: Wenn ein Nicht-Behinderter sagt, mir geht’s ganz schlecht, wird das abgetan: ›Habe du erst mal mein Schicksal.‹ Die Gefahr ist, dass sie sich verlieren in Schmerz und Selbstmitleid. Halt bekommen sie wieder, indem andere auf ihr Verhalten reagieren. Wenn ich fokussiert bin auf Defizite, brauche ich jemanden, der mich korrigiert, der mein Blickfeld erweitert, der mich überhaupt auf die Idee bringt, etwas anders zu sehen. Und gegebenenfalls sagt: ›Bis hierher und nicht weiter!‹« Doch gerade ihre Not dünnt die sozialen Beziehungen von Menschen in Krisen oft aus. »Wenn jemand Krebs hat, ist es oft so, dass der Freundeskreis sich drittelt«, skizziert der Psychotherapeut Wolfgang Krüger den bitteren Regelfall.
    »Plötzlich behindert sein bedeutet meist mehr Einsamkeit«, beobachtet auch Annemarie Kühnen-Hurlin. »Freunde ziehen sich zurück, weil sie sich von den radikalen Veränderungen überfordert fühlen. Sie wissen nicht, was heißt das jetzt, was kommt auf uns zu? Unbewusst befürchten etliche Menschen, dass Unglück abfärbt. Ihnen geht es gut, nichts soll das gefährden. Deshalb meiden sie jede Berührung mit dem Virus Unglück. Es stellt sich angesichts des Leids eines anderen auch die Frage: ›Darf ich noch glücklich sein? Darf ich mich in der Gegenwart eines vom Schicksal geschlagenen noch freuen?‹« Falls Betroffene nur noch um ihr eigenes Los kreisen, gehe jedoch selbst treuen Freunden irgendwann die Puste aus.
    Auch wenn Menschen ihrer Verletzbarkeit und Endlichkeit nicht entrinnen können und wir machtlos gegenüber Schicksalswenden sind, haben wir die wirksamsten Heilkräfte in uns selbst. Die 40 -Jährige, die erblindet, der querschnittsgelähmte 35 -jährige Steffen Köhn, die junge, kleinwüchsige Frau: Es sind glückliche Menschen, von denen Annemarie Kühnen-Hurlin erzählt. Alle drei seien kontaktfreudig, humorvoll, zielstrebig, gepaart mit einer Portion Pragmatismus. Am hilfreichsten aber sei, dass sie den Zeiten ihrer Nicht-Behinderung nicht mehr nachtrauern: »Sie übertragen den Satz ›Jedes Ding hat zwei Seiten‹ auf ihre Situation. Sie können vieles nicht mehr, aber sie können dafür anderes. Und bei allen gibt es in der Kindheit eine Person, von der sie so akzeptiert und geliebt wurden, wie sie sind.« Für die Widerstandskraft gegen Unglück ist das die wichtigste Ressource.
    Malte B.: »Vielleicht schenkt einem Unglück das Glück, bewusster zu leben.«
    Hofreite nennt sich das kleine hessische Gehöft, vor dem wir nach einer kurzen Autofahrt von Gießen nach Kleinlinden halten. Als wir die Tür zum Innenhof öffnen, werden wir freudig von einem schwarzen Labrador begrüßt. Wir setzen uns in die Wohnstube, die Verwandlung des alten Hauses von der Entkernung bis zum derzeitigen Sanierungsstand wird der 31 -jährige Malte B. mir später auf dem Laptop zeigen. Ein gewaltiges Projekt, das er und seine Lebenspartnerin Charlotte L. seit zwei Jahren eigenhändig stemmen, parallel zu ihrer Berufstätigkeit.
    Die Tüchtigkeit des jungen Paares imponiert mir, ihre nunmehr 14 -jährige stabile Beziehung hebt sie von Gleichaltrigen ab, ihr beruflicher Seiteneinstieg scheint mir für ihre Generation nicht untypisch zu sein. Beide, Charlotte und Malte, schlossen ihr naturwissenschaftliches Studium nicht ab und bauten Paralleljobs zur Berufsbasis aus. Malte, ein großer, schlanker Mann mit ernstem Gesicht, arbeitet selbständig im EDV -Bereich. Charlotte, eine 30 -Jährige mit rundlicher Figur und fröhlichen Augen, beendete kürzlich ihre Probezeit in der Werbeabteilung eines großen Möbelhauses.
    Als wir abends in der Sitzecke des noch spärlich begrünten Hofes Nudeln mit selbstgemachtem Pesto essen, bietet sich die Gelegenheit zu einem Gespräch zu dritt. Malte ist mir durch die einst enge Freundschaft mit seinen Eltern vertraut. Der tragische Verlust seiner Mutter, die psychische Erkrankung seines Bruders sind Hypotheken, an denen der vormals so behütete Junge hätte zerbrechen können. Als ich Malte später wiedersehe, freue ich mich über seinen spürbaren inneren Halt und seine warmherzige Natürlichkeit, auch wenn sein

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