Der Weg zur Hölle
nicht mehr.«
Die Frau sah ihn einen Moment lang entgeistert an, dann schüttelte sie den Kopf und wandte sich dem Staatsanwalt und Wedelbeck zu.
»Wir haben den Rest des Toten gefunden. An einem Stück wenigstens. Im Auto von Herrn Meyer. Ordnungsgemäß angeschnallt auf dem Beifahrersitz.«
»Was für ein Alptraum«, murmelte Wedelbeck, aber der Staatsanwalt schien sich zu freuen.
»Na bitte. Sonnenklar. Fall so gut wie abgeschlossen. Nicht wahr, Hauptkommissar Wedelbeck?«
Der Angesprochene sah erst den Staatsanwalt an, dann Reemund, der immernoch im Türrahmen stand, zweifelnd den Kopf schüttelte und dann wortlos ging.
Ich folgte ihm. Hier gab es für mich nichts mehr zu sehen und Reemund war eindeutig das interessanteste Studienobjekt, dem ich seit langem begegnet war.
*
Kaum zu Hause angekommen, war Reemund ins Bad geschwankt und hatte sich ausführlich übergeben. Daraufhin zog es ihn ins Schlafzimmer, wo er sich, so, wie er war, ins Bett fallen ließ. Ich dachte schon, er wäre eingeschlafen, da zuckte er zusammen, fingerte sein Mobiltelefon aus der Hosentasche und tippte eine Nummer ein, wobei es so aussah, als wolle er das zierliche Gerät zerquetschen.
»Mechthild! Wenn du das hier abhörst, ist schon Tag und du bist auf der Arbeit. Bis dahin haben sich die neuesten Schauergeschichten über mich bestimmt bis zu Deinem Gerichtsgebäude rumgesprochen. Geh davon aus, dass alles stimmt. Und hilf mir aus dem Schlamassel. Wir reden morgen. Gott, bin ich besoffen!«
Kaum fünf Sekunden später schnarchte er bereits.
Ich sah mich um. Eine Altbauwohnung im Erdgeschoss. Das Haus war zwar nicht im allerbesten Zustand, aber die Wohnung war vor nicht allzu langer Zeit renoviert und mit einem verspielten Charme eingerichtet worden, der eindeutig auf die Hand einer Frau schließen ließ. Wie um mich zu bestätigen, öffnete sich die Tür und eine junge Frau trat ein.
Trotz der Tatsache, dass sie erschöpft wirkte, war sie wunderschön. Ende zwanzig vielleicht. Ohne nennenswerte Frisur, ungeschminkt, schlicht in jeder Hinsicht — und doch: Es gibt Menschen, die strahlen etwas aus, das mich froh macht, keinen Körper mehr zu haben, weil ich sonst nicht wüsste, wohin mit meinen Gliedmaßen.
Sie knallte ihre Tasche hin, schlüpfte achtlos aus ihren Schuhen, ging in die Küche und nahm erstmal einen Schluck Wein, direkt aus einer offenen Flasche, ohne auch nur das Licht anzumachen. Dann zog sie sich aus. Schnell. Die Sachen ließ sie gleich in der Küche liegen, dann verschwand sie im Bad. Ich folgte ihr nicht. Zum einen, weil ich sowas schon lange nicht mehr mache und zum anderen … Nun, auf meine Probleme mit Wasser komme ich später noch zurück. Ich blieb, wo ich war. Sogar, als ich sie weinen hörte. Was hätte ich auch tun sollen?
Nach einer Viertelstunde kam sie wieder, ging ins Schlafzimmer und entdeckte Reemund, der in vollem Ornat quer über dem Bett lag und schnarchte. Ich nahm an, dass sie jetzt noch trauriger werden würde, aber ich irrte mich. Sie lächelte, ging zu ihm und begann, ihn in aller Ruhe auszuziehen. Er schlief einfach weiter, grunzte nur ein paar Mal. Zum Schluss zog sie eine Wolldecke unter dem Bett hervor, deckte sich und ihn damit zu, verkroch sich unter seinem Arm und schloss die Augen. Während all der Zeit war kein Wort gefallen.
Ich hätte jetzt gehen können, aber ich konnte mich nicht losreißen. Die beiden lagen da wie Hänsel und Gretel nach einem langen, grausamen Tag im dichten Wald. Ich schwöre, wäre mir mein Körper nicht schon vor Jahrzehnten abhanden gekommen, ich hätte Tränen vergossen.
* * *
KAPITEL 3 - MÄUSE
HAUSMAUS: Kulturfolgende Mäuseart mit mehreren Unterarten, die in menschl. Behausungen siedeln und als nachtaktive Nager von Getreide und Speiseresten leben.
(Großes Lexikon, Chur [CH], 2004)
Haben Sie schonmal die Behauptung gehört, die Seele wiege einundzwanzig Gramm? Diese Theorie ist unter den Lebenden äußerst beliebt, weil sie auf ebenso simple, wie scheinbar wissenschaftliche Weise zu belegen versucht, dass es zum einen eine Seele gibt, und dass diese zum anderen den Körper in der Sekunde des Todes verlässt. Und da keine Energie verschwindet sondern sich höchstens verwandelt, gibt es ein Leben nach dem Tod. So einfach ist das.
Ich bin ein Freund der Wissenschaften, aber der Gedanke, jemanden auf einer fein justierten Waage sterben zu lassen, ist mir dann doch zuwider. Und wieviele Messungen wären nötig, um diese Theorie als
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