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Der Weg zur Hölle

Der Weg zur Hölle

Titel: Der Weg zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaspar Dornfeld
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Merkwürdiges gesehen, das mir seither immer einfällt, wenn es regnet: Mitten in einer gewaltigen Pfütze vor einem Postamt stand ganz allein eine ältere Frau, der man ihr Down-Syndrom deutlich ansah. Sie trug ein quietschgelbes Regencape und leuchtend blaue Gummistiefel. Alle dreißig Sekunden, als würden aus der Wasserlache wie durch ein Uhrwerk gesteuert kleine Stromstöße auf sie abgegeben, riss sie den Kopf zum Himmel, verzog das Gesicht zu etwas, das unter normalen Umständen ein Grinsen hätte sein können und schrie laut auf. Es klang ein bisschen wie das Wehklagen eines irreparabel gebrochenen Herzens.
    Ich bleibe dabei. Niemand mag Regen.
    Ich schon garnicht. Jedes Mal bilde ich mir ein, die Tropfen seien kleine Messer, die mich in tausend Stücke schneiden. Im Regen fliegen zu müssen, versetzt mich immer wieder in einen Zustand ausgewachsener Panik. Sie halten das für schwachsinnig? Da gibt es aber ganz andere Ängste! Wussten Sie, dass Anatidenphobie die Angst ist, von einer Ente beobachtet zu werden? Ich weiß das, und ich weiß auch, wie es sich anfühlt. Diese Mistviecher! Schlimmer sind nur Wespen und Tauben. Aber ich schweife ab.
    Als der Morgen kam, war meine Laune komplett den Bach runter. Ich war drauf und dran, in dem Kellerverschlag zu bleiben und auf den Frühling zu warten.
    Ich warf einen Blick auf Koss, der immernoch schlief und seufzte. Dann riss ich mich zusammen und schoss aus dem Fenster hinaus in einen trüben, verregneten Tag. Gleichzeitig mit mir versuchte die Sonne, sich zum Himmel hinauf zu kämpfen, und ich bin sicher, dass wir uns beide in dem Moment dieselbe Frage stellten: Warum eigentlich?
    * * *

KAPITEL 6 - HIERARCHIE
HIERARCHIE: (soziologisch) In einer älteren Soziologie (19. Jh.) wird insbes. dort auf die Betonung der H. abgestellt, wo gegenüber den rationalistisch-emanzipatorischen Ideen der »Aufklärung« Notwendigkeiten der Integration der Individuen in übergreifende Ordnungszusammenhänge und Institutionsgefüge gesehen werden. Gewöhnlich wird H. hierbei als ein unvermeidliches Gegengewicht zur bürgerlichen Freiheitssphäre verstanden und mit gesamtgesellschaftlichen Herrschaftsfunktionen gleichgesetzt, die von bestimmten Einrichtungen (Staat, Kirche) und / oder sozialen Teilgruppen (Stände) ausgeübt werden.
    (Staatslexikon, 7. Auflage, Verlag Herder Freiburg im Breisgau, 1986)
    Ich traf zeitgleich mit Wedelbeck im Präsidium ein, und irgendwie sahen wir beide filetiert aus. Er war nass bis auf die Knochen, unausgeschlafen und machte insgesamt den Eindruck, als wolle er den Dienst quittieren. Ich hingegen hatte große Lust zu heulen, wie immer, wenn ich in Panik geraten und trotzdem wieder einmal nichts passiert war.
    Wedelbeck stürmte das wuchtige Treppenhaus hinauf zu seinem Büro. Ich folgte ihm, zensierenswerte Flüche ausstoßend.
    Unter der Bürotür drang Qualm hervor. Na toll, dachte ich, jetzt brennt es auch noch. Wedelbeck seufzte und drückte die Tür auf.
    Es brannte nicht. Dafür saß direkt gegenüber des Schreibtisches ein großer Mann mit silbergrauem Haar in einem Rollstuhl und rauchte eine Zigarette. Dem Dichtegrad des Qualms und dem überfüllten Aschenbecher nach zu urteilen, der neben ihm auf einem kleinen Tischchen stand, war es mindestens die zehnte.
    »Guten Morgen Wedelbeck. Sie kommen spät«, knurrte der Mann und nahm einen weiteren Zug.
    »Guten Morgen, Herr Polizeipräsident.« Der Kommissar hustete. »Dürfte ich wohl das Fenster aufmachen?«
    »Wenn Sie wollen, dass wir uns hier den Tod holen, nur zu, es ist Ihr Büro.«
    Wedelbeck öffnete das Fenster und atmete tief durch.
    »Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches, Herr Polizeipräsident?«
    »Ich kenne meinen Dienstgrad. Und da die Angelegenheit zumindest halb privat ist, nennen Sie mich bitte beim Namen.«
    »Also gut Herr Kojun.« Wedelbeck setzte sich auf seinen Schreibtisch, dem Rollstuhlfahrer gegenüber. »Was treibt Sie an diesem hundsmiserablen Tag zu mir?«
    »Hundsmiserabel, in der Tat. Zum einen, dass Sie trotz der Tatsache, dass Sie nicht rauchen, einen Gästeaschenbecher im Büro haben. Ein feiner Zug von Ihnen. Ich muss gleich mit dem Bürgermeister zu einer Pressekonferenz über seine neue Kampagne gegen das Rauchen im öffentlichen Raum. Ich frage mich ernsthaft, was ich da soll. Zwei Stunden lang Politikerphrasen zum Nichtraucherschutz, und hinterher drängelt sich das gesamte Journalistenpack in der Raucherinsel, und ich darf nicht mal mitmachen. Da

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