Der Weg zur Hölle
tropfte.
»Hol dir ein Pflaster!«
*
Das Essen, was die Kleine gekocht hatte, war dem Geruch und dem Aussehen nach zu urteilen recht gut.
Während sie aßen, redete Belinda wie ein Wasserfall von Dingen, die sie interessierten. Von Fröschen und Stabheuschrecken, von Chemie und Biologie, von Büchern, die sie reihenweise verschlang und davon, dass sie demnächst eine Zahnspange bekommen würde, obwohl sie glaubte, die garnicht zu brauchen. Sie zeigte ungefragt ihre Zähne, die einiges an Schiefstand aufwiesen.
»Und du Papa?«
Reemund hatte gerade den Mund voller Spaghetti.
»Waff und ich?«
»Na deine Arbeit.«
Reemund beeilte sich nicht, den gewaltigen Bissen herunter zu schlucken.
»Du weißt, dass Deine Mutter und ich vereinbart haben, nicht darüber zu reden. Sonst kriegst du Alpträume.«
Aber die Kleine ließ nicht locker. Sie beugte sich verschwörerisch über den Tisch und flüsterte, als wären sie beide Geheimagenten: »Hast du in letzter Zeit viele Mörder geschnappt?«
»Hm.«
»Ich lese total gern Krimis. Mama findet das blöd. Sie sagt, wegen ihrer Arbeit weiß sie, dass Krimis Schwachsinn sind. Aber von der Arbeit erzählen will sie auch nicht. Ich will später Kriminalistin werden, oder Kriminologin. Ich bin noch nicht sicher.«
Reemund schob sich ein weiteres Nudelknäuel in den Mund. Auch eine Möglichkeit, nicht zu antworten.
»Mama hat heute mit Lars über dich geredet. Das ist ihr Freund.« Das letzte Wort kam ihr nur widerwillig über die Lippen. »Sie hat gesagt, du hast Ärger, weil du einem Mann die Nase gebrochen hast. Sie hat geglaubt, ich kriege das nicht mit, aber ich kriege immer alles mit. Ich wette, der Mann war ein gefährlicher Verbrecher, stimmts?«
Reemund verschluckte sich und bekam einen Hustenanfall, an dessen Ende er vorschlug, man könne den Abend doch vor dem Fernseher verbringen, so richtig lange, bis man dabei einschläft.
Der Freitagabend-Krimi zog das Mädchen sofort in seinen Bann. Das war gut, denn so entging ihr, dass Reemund alle paar Minuten verächtlich schnaubte über das Geschehen auf dem Bildschirm. Immer wieder murmelte er Dinge wie: »dumm«, »war ja klar«, »falsche Frage« oder »Idioten!«, und als der Film drohte, spannend zu werden, schlief er kurzerhand ein.
Nun ja, dachte ich. Wenigstens kann er sich dann nicht mehr wie ein Trottel benehmen.
*
Eine Stunde später saß ich wieder im Kellerverschlag in Marzahn und bestaunte Eduard Koss, der ebenfalls eingeschlafen war. Soweit also konnte einen Neutoten das Restselbstbild bringen, denn Geister schlafen eigentlich nicht. Während ich ganz nah um ihn herum schwebte, merkte ich, dass mein Widerwillen gegen diesen eigenartigen Zustand endgültig verschwunden war, und ich staunte noch mehr. Diesmal über mich selbst.
Als ich zum ersten Mal einem Geist begegnete, der gerade seine Nachtodamnesie durchlief, hätte es mich fast zerrissen vor Ekel und Panik. Ich dachte, ich könnte mich an diesem Zustand anstecken und womöglich vollends in den Wahnsinn abgleiten. Damals schwor ich mir, mich nie wieder einem Neugeist zu nähern.
Als ich meinem Therapeuten davon erzählte, reagierte er aggressiv. Eigentlich reagierte er immer so, wenn ich ihm etwas erzählte. Ich dachte zunächst, mein Egoismus hätte ihn wütend gemacht, aber es stellte sich heraus, dass ihm meine Gleichgültigkeit nicht weit genug ging. Ich solle es einfach halten, wie alle anderen Geister auch: solchen Begegnungen aus dem Weg gehen und kein Wort mehr darüber verlieren. Besonders nicht ihm gegenüber. Das nerve. Als ich es wagte, ihn höflich darauf aufmerksam zu machen, dass es doch seine Aufgabe als Therapeut sei, sich der Probleme anderer anzunehmen, fing er obendrein an zu schmollen. Er sagte mir, wenn ich so klug sei, könne ich mich ja selber therapieren, beendete die Sitzung und verschwand.
Ich stellte mich an das zerbrochene Kellerfenster, machte die Augen zu und hörte mich in das Summen der Stadt hinein. Irgendwann begann es zu regnen, und meine Laune, die bis dahin eigentlich gut gewesen war, verschlechterte sich. Das schöne Geräusch verschwand im harten Prasseln aufschlagender Wassertropfen. Ich mag keinen Regen. Niemand mag ihn wirklich, zumindest dann nicht, wenn man mittendrin steht. Ich glaube, der Ausspruch: Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung , ist einfach eine Werbelüge, um überforderten Eltern Gummistiefel für ihre Sprösslinge zu verkaufen.
Vor kurzem habe ich etwas
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