Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg zur Hölle

Der Weg zur Hölle

Titel: Der Weg zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaspar Dornfeld
Vom Netzwerk:
davor, endgültig heimatlos zu werden.
    Es gibt jedoch durchaus Legenden über Geister, die sich hinaus gewagt haben. Eine besonders schaurige beschreibt die Reise einer waghalsigen Gruppe toter Abenteurer, die sich zum Jupiter aufgemacht haben soll. Das Ganze endet damit, dass diese Gespenster irgendwie jenen großen roten Fleck erzeugt haben, den man auf eigentlich allen Fotos des Planeten sieht und nun in dem Wirbelsturm gefangen sind, um auf ewig über den Planeten zu rasen. Angeblich hört man ihr Heulen bis zur Erde, aber nur in ganz, ganz stillen Nächten.
    Zurück zu den Meeren.
    Stirbt ein Mensch im Wasser, erlebt er seinen Frühtodzustand natürlich auch dort. Danach zieht es zwar die meisten an Land zurück, aber da gibt es ein Problem: Eine Faustregel besagt, je größer die Entfernung des Sterbeorts zur Heimat, desto geringer die Erinnerung an sie. Das heißt, dass auf dem Meer Verstorbene — genau so wie Soldaten im Auslandseinsatz — kaum noch die Möglichkeit haben, ihren einstigen Wohnort zu finden. Das lässt sie schon viel früher als alle anderen ein Gefühl von Heimatlosigkeit spüren, mit dem Ergebnis, das sich die meisten auf unbewohnten Inseln niederlassen. Einige gehen sogar ins Meer zurück.
    Eigentlich wollte ich auf Titanic hinaus. Auf den Film.
    Mit dem Streifen hat man mir keinen Gefallen getan. In den folgenden Wochen ertrug ich die Gegenwart anderer Geister nicht mehr. Das nahm regelrecht pathologische Züge an. Ich entwickelte eine Phobie gegen Gespenster. Und das alles nur, weil ich die Vorstellung von Tausenden Geistern nicht mehr los wurde, die massenweise schreiend, stöhnend, amnesisch und kurzzeitwahnsinnig am Meeresboden herumkrochen.
    Ich bin darüber hinweg. Trotzdem frustriert es mich jedes Mal, wenn ich bei dem Film jemanden vor Rührung weinen sehe. Ich versuche mir dann immer vorzustellen, wie die Leute reagieren würden, wenn sie ihn sehen könnten, den Geist der Figur, die DiCaprio spielt. Der Körper sinkt zum Meeresgrund. Irgendwann löst sich der Geist ab, der seinem Selbstbild entsprechend wie ein Zwölfjähriger aussieht. Und dann hängt der mindestens eine Woche lang da unten rum, schrammt am Meeresboden entlang und macht Geräusche wie eine Kuh beim Schlachten, während Schlamm, hässliche Tiefseefische, andere Geister, Wrackteile und sein eigener Körper durch ihn hindurch treiben.
    *
    Reemund saß allein vor dem Fernseher, schaute Titanic auf DVD und weinte leise vor sich hin. Dabei war weit und breit noch kein Eisberg in Sicht. Es klingelte. Der Hauptkommissar grunzte missbilligend, stoppte den Film und schlurfte zur Tür.
    »Casablanca?«, fragte Kojun, der mitten im Hausflur in seinem Rollstuhl saß und Reemund von unten herauf angrinste.
    »Titanic. Und jetzt hau ab, sonst zerstech ich dir die Reifen.«
    Der Polizeipräsident von Berlin drückte den Steuerjoystick seines Gefährts nach vorn und raste durch die Tür. Wenn Reemund nicht zur Seite gesprungen wäre, hätte es ihn einfach mitgerissen.
    »Hast du keinen eigenen Fernseher?«
    Kojun fuhr direkt durch zur Küche, bremste kurz ab, fuhr um einen wuchtigen Küchentisch herum, riss einen Schrank unter der Spüle auf und holte eine Flasche Kognak heraus.
    »Wusste ich es doch, dass du den hier aufbewahrst.«
    Reemund rieb sich die Seite.
    »Was willst du hier?«
    »Ich wollte deiner Tochter Hallo sagen. Wie alt war sie, als ich sie das letzte Mal gesehen habe? Ein Jahr? Zwei Jahre?«
    »Ein Halbes.«
    »Ein halbes Jahr! Sieht sie aus wie du oder hatte sie mehr Glück?«
    »Nerv mich nicht, Polizeipräsident.«
    Kojun begutachtete die teuer wirkende Flasche.
    »Du hast sie nicht mal aufgemacht. Beim nächsten Mal schenk ich dir wieder Socken.«
    »Der erste kluge Gedanke, den ich heute höre.«
    »Also, wo ist Belinda?«
    Reemund seufzte und holte zwei Gläser aus dem Schrank.
    »Sie ist mit Eva unterwegs. Klamotten einkaufen.«
    »Die beiden verstehen sich?«
    »Eva versteht sich mit jedem.«
    »Und du? Kommst du mit deiner Tochter zurecht?«
    »Sie mit mir. Du willst bestimmt einen Schluck. Setz dich schonmal hin.«
    Der Polizeipräsident lächelte müde über den lahmen Witz. Reemund nahm ihm die Flasche aus der Hand, brach den Verschluss ohne jeden Respekt vor dem offensichtlichen Wert des Inhaltes auf, goss die beiden Gläser halbvoll und zog sich einen Küchenstuhl heran.
    »Was willst du?«
    »Als ob du das nicht wüsstest! Dir die Leviten lesen, natürlich. Es wird dich vielleicht freuen zu

Weitere Kostenlose Bücher