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Der Weg zur Hölle

Der Weg zur Hölle

Titel: Der Weg zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaspar Dornfeld
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vermeiden lernen soll.
    Man muss sich das mal vorstellen: Da schlendert man also durch Venedig, besucht all die Plätze, die man aus Film und Fernsehen kennt, wie ein Tourist, nur ohne die Last der Sichtbarkeit. Man amüsiert sich über die lebenden Besucher, die beim Klang einer gewöhnlichen Konversation der Einheimischen schon aufgrund der schieren Lautstärke zusammenzucken, sieht sich genüsslich das Farbenspiel des Canale Grande an, wenn hinter den Palazzi die Sonne untergeht und schafft es sogar, die weiter hinten liegenden Fabrikschornsteine zu ignorieren, den Gestank und die Tatsache, dass die Farben nur deshalb so prächtig sind, weil es sich nicht nur um Wasser handelt. Und plötzlich kommt da eine Schar grauer, dreckiger Vögel, fliegt kreuz und quer durch einen hindurch, lässt Federn, macht seltsame Geräusche, stinkt zum Gotterbarmen und kackt einem mitten in die Essenz des eigenen unsterblichen Selbst. Tierische Zuneigung kann belästigende Formen annehmen.
    Ich komme darauf wegen der Bahnhöfe und der langen Stacheln, die man auf Bahnsteigen findet, überall da, wo sich Tauben niederlassen könnten. Das ist an sich zwar widerlich, aber es ist ein Hauptgrund dafür, dass sich Großstadtgeister mit Vorliebe auf Bahnhöfen aufhalten.
    Ob Reemund eine vergleichbare Abneigung gegen Tauben besaß oder einfach nur den Zügen hinterher schauen wollte, die die Stadt verließen, weiß ich nicht. Zumindest saß er am nächsten Morgen am Bahnhof Zoo auf einer harten Metallbank am Gleis, schlürfte Cola aus der Dose und starrte wie jemand vor sich hin, der denken musste, obwohl er es lieber vermieden hätte.
    Der Tag hatte trotz der Tatsache, dass es noch nicht einmal Mittag war, bereits eine Menge Stoff geboten.
    Da war zunächst Eva, die Reemund nach einer viel zu kurzen Nacht in ein Gespräch über seine Vaterrolle verwickelt hatte. Woraufhin er sich schnellstmöglich zur Arbeit verzog. Doch da war es auch nicht besser. Der erste, dem er vor Ort begegnete, war ausgerechnet der Staatsanwalt, und der hatte wie immer schlechte Laune, die durch Reemunds Anblick im Prinzip nur weiter sinken konnte.
    Der kleine, cholerische Mann bekam einen hochroten Kopf und gratulierte dem Ermittler, der gegen ihn wie ein Hüne wirkte, mit zusammengebissenen Zähnen zu seinen fantastischen Beziehungen: eine vorsitzende Richterin und der Polizeipräsident? Was sei da schon eine Anzeige wegen Körperverletzung?
    Reemund sagte nichts und sah den Staatsanwalt aus trüben Augen von oben herab an. Der streckte warnend den Zeigefinger vor.
    »Wir sind noch nicht fertig miteinander, Reemund. Sehen Sie sich vor! Ich kann Leute nicht ausstehen, die sich benehmen, wie sie wollen und denken, sie kämen damit durch. Wenn ich es recht verstehe, war das letzte Opfer zumindest kurzfristig unser erster Tatverdächtiger?«
    » Sehr kurzfristig.«
    »Meinen Sie nicht, anständige Ermittlungsarbeit hätte den Tod des Mannes vermeiden helfen können?«
    Reemund zog die Augenbrauen zusammen.
    »Darf ich Sie darauf hinweisen, Herr Staatsanwalt, dass Ihr Büro da nicht weniger Verantwortung trägt als wir?«
    »Spielen Sie keine Spiele mit mir, Reemund, sondern machen Sie Ihre Arbeit!«
    »Das täte ich gerne, wenn Sie mich jetzt endlich mal lassen würden.«
    *
    Nun saß Reemund also hier auf dem Bahnsteig und dachte nach — ob über den Fall oder über seine Tochter, wusste ich nicht — als plötzlich eine wohlbekannte Stimme mitten aus mir heraus sprach:
    »Das Wesen jedes Leids hat zwanzig Schatten, die aussehen wie das Leid, doch es nicht sind: Das Aug' des Kummers, überglast von Tränen, zerteilt ein Ding in viele Gegenstände.«
    Rudolph Wassermann hatte sich mit traumwandlerischer Sicherheit wieder genau dahin gestellt, wo ich war. Ich sprang zur Seite und Reemund sah auf.
    »Glückskeks?«
    »Shakespeare.«
    »Also Glückskeks. Setzen Sie sich, Wassermann. Sie nerven, wenn Sie stehen.«
    Der kam der Aufforderung nach. Ich bemerkte, dass er sich seine fellfreie Katze wie die Parodie eines Mantelkragens um den Hals gelegt hatte.
    »Wollen Sie eine Cola?«, fragte der Kriminalist.
    »Nein, danke. Ich muss auf meine Figur achten.«
    Reemund schnaubte und der Andere sah ihn aufmerksam an.
    »Sagen Sie mal, Kommissar, warum sind Sie eigentlich so?«
    »Wie bin ich denn?«
    Wassermann versuchte es mit einem Lächeln. Es gelang.
    »Sie sind das, was ich einen Selbstbaudummkopf nenne. Jemand, der sich für weitaus dümmer ausgibt, als er ist. Unter

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