Der Weg zur Hölle
Sägewerken eingesetzte, meist tragbare Säge mit motorgetriebenem, umlaufendem Kettenband, dessen Glieder als Sägezähne ausgebildet sind.
(Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Gütersloh, 2001)
Gerade als die Beamten sich anschickten, loszugehen, kam der Geist von Eduard Koss zur Tür herein.
»Das passt mir jetzt garnicht«, sagte ich bloß.
»Ich habe Sie gesucht.«
»Warum?«
Er hatte die Hände in den Taschen seines maßgeschneiderten Anzuges, als er auf mich zuschwebte. Charakter ist eben Charakter. Unwillkürlich sah ich an mir herab. Eine ausgeleierte Hose, ein zu enges T-Shirt.
»Ich habe nachgedacht«, sagte Koss. »Und ich glaube, ich habe ein Recht, die Ermittlungen zu verfolgen.«
»Wie haben Sie mich überhaupt gefunden?«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich musste nur fragen. Berlin ist voller Geister, die den Weg in die Keithstraße kennen.«
Koss war, man konnte es mit keinem anderen Wort besser beschreiben, souverän. »Und wenn ich es richtig verstehe, untersuchen diese Polizisten den Mord an mir. Ich finde, ich sollte dabei sein.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nein, das sollten Sie nicht.«
»Warum nicht? Ich bestehe darauf. Hier geht es schließlich um mich!«
Ich überlegte. Warum eigentlich nicht? Ich hatte ihm ersparen wollen, was ich selber hatte durchmachen müssen. All die Verzweiflung und die Wut darüber, dass es mir nicht möglich war, herauszufinden, wer ich vor meinem Ableben gewesen war. Ich hatte ein Tabu gebrochen. Ich hatte einen Geist während seiner Nachtodamnesie berührt und geschützt. Und siehe da: Seine Erinnerungen waren ihm zumindest teilweise erhalten geblieben. Warum sollte ich ihn nicht mit eigenen Augen sehen lassen, was mit ihm geschehen war?
Mir fiel wieder ein, wohin die Polizisten gerade im Begriff waren, aufzubrechen, und ich betrachtete Koss genauer. Er war mir unsympathisch. Man könnte mir unterstellen, ich sei einfach neidisch auf souveräne Menschen, und vielleicht hätte man damit recht. Aber vor mir stand ein Mann, dessen eine Tochter sich umgebracht und dessen andere vermutlich ihn umgebracht hatte.
Ich weiß nicht, welcher Teufel mich in dem Moment ritt, aber ich lächelte. »Natürlich. Wenn Sie darauf bestehen, kommen Sie eben mit.«
*
Es gibt Dinge, die haben im Haus einfach nichts zu suchen. Autos zum Beispiel. Oder Wölfe. Oder Geister, wenn man Voyerismus für etwas Verwerfliches hält, obwohl sich darüber natürlich streiten ließe. Bei Kettensägen läßt sich nicht streiten. Die gehören nicht ins Haus. Niemals. Schon garnicht, wenn sie angeschaltet sind, und mehr als eine erst recht nicht.
Koss und ich waren voraus geflogen. Unterwegs löcherte er mich immerzu mit Fragen. Wo wir denn hinwollen. Was es da zu sehen gebe. Wie das zur Aufklärung des Mordes an ihm beitragen könne. Ich hielt mich bedeckt. Zum einen, weil mir seine mit Reife garnierte Souveränität gehörig auf die Nerven ging, zum anderen, weil ich sowieso nicht wusste, was ich hätte sagen sollen.
»Wir sind auf dem Weg zu Ihrer Tochter. Wahrscheinlich ist sie in Ihrem kleinen Waldhäuschen und sägt gerade Hugh Simmons den Kopf ab. Das hat sie schon mit mindestens zwei anderen Menschen getan. Mit Ihnen und einem Herrn Meyer. Sie wollen wissen warum? Nun, offenbar waren Sie ein sehr schlechter Vater. Ihre ältere Tochter hat sich schon vor Jahren das Leben genommen. Und jetzt bitte etwas weiter nach Norden, sonst fliegen wird dran vorbei.«
In dieser Art vielleicht? Da war es schon besser, wenn ich den Mund hielt. Natürlich war mir klar, dass ich irgend einen Weg finden musste, die ganze Sache zu erklären. Schließlich bestand darin der wichtigste Teil meiner Aufgabe. Aber ich hatte zu viel Angst. Da war sie wieder, meine treue Begleiterin! Ich hoffte, dass wir nichts als ein leeres Haus finden würden und dass die Idee der Polizisten sich als unwahr herausstellte.
Leider war dem nicht so, auch wenn die Geschichte zumindest teilweise anders lag, als Reemund vermutetet hatte.
Wir brauchten nicht lange, um das Wäldchen und das Haus darin zu finden. Koss erinnerte sich zwar nicht mehr an sein ehemaliges Domizil, aber der lautstarke Tumult, wies uns unfehlbar den Weg.
Aus dem Haus, dessen Tür weit offen stand, drangen die Geräusche zweier Motorsägen! Eine von beiden jaulte auf, gefolgt von dem ohrenbetäubenden Knirschen von Holz. Es klang, als würde jemand einen massiven Schrank zersägen. Eine Frau schrie: »Ich mach dich alle!«
Kurz darauf eine
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