Der Weg zurück
Quelle.«
»Gib mal einen«, sage ich, »dann kann ich nächstens Adolf besuchen.«
Er zieht einen Block heraus und reißt den Schein ab.
»Füll ihn selbst aus. Du fährst natürlich zweiter Klasse.«
»Gemacht.«
Draußen knöpft Willy seinen Mantel auf. Er hat einen zweiten darunter an. »Besser, ich habe ihn, als dass er nachher verschoben wird«, meint er gemütlich. »Den können mir die Preußen für mein halbes Dutzend Splitter schon zugeben.«
Wir gehen die Große Straße entlang. Kosole erzählt, dass er heute Nachmittag seinen Taubenschlag reparieren will. Er hat vor dem Kriege eine Zucht von Brieftauben und schwarzweißen Tümmlern gehabt. Damit will er jetzt wieder anfangen. Das hat er sich immer draußen gewünscht.
»Und sonst, Ferdinand?«, frage ich.
»Arbeit suchen«, sagt er kurz, »bin doch verheiratet, Mensch. Immer ran an Speck, jetzt.«
Aus der Gegend der Marienkirche knattern plötzlich ein paar Schüsse. Wir horchen auf. »Armeerevolver und Gewehr 98 «, erklärt Willy sachkundig. »Zwei Revolver, glaub ich.«
»Na, wenn schon«, lacht Tjaden und schwenkt seine Schnürschuhe, »immer noch verdammt friedlich gegen Flandern.«
Vor einem Herrenmodegeschäft bleibt Willy stehen. Im Fenster ist ein Ersatzanzug aus Papier und Brennnesselfaser ausgestellt. Doch der interessiert ihn wenig. Dagegen betrachtet er gebannt eine Reihe von verblassten Modeplakaten, die hinter dem Anzug ausgehängt sind. Aufgeregt zeigt er auf das Bild eines eleganten Herrn mit Spitzbart, der in ewiger Unterhaltung mit einem Jäger begriffen ist. »Wisst ihr, was das ist?«
»Eine Flinte«, sagt Kosole, der den Jäger meint.
»Quatsch«, unterbricht Willy ihn ungeduldig, »das ist ein Kötteweh! Ein Schwalbenschwanz, verstehst du? Das Modernste jetzt! Und wisst ihr, was mir eingefallen ist? Ich lasse mir einen aus diesem Mantel hier machen. Auftrennen, schwarz färben, umarbeiten, hier die Schlippen weg – bong, sage ich euch!«
Er verliebt sich zusehends in seine Idee. Aber Karl dämpft ihn. »Hast du denn eine gestreifte Hose dazu?«, fragt er überlegen. Willy stutzt einen Moment. »Die klaue ich meinem Alten aus dem Schrank«, entscheidet er dann. »Dazu noch seine weiße Hochzeitsweste, was meint ihr, wie Willy dann aussieht!« Strahlend vor Glück blickt er uns der Reihe nach an. »Verflucht noch mal, Kinder, jetzt wird aber gelebt, was?«
Ich komme nach Hause und gebe die Hälfte des Entlassungsgeldes meiner Mutter. »Ludwig Breyer ist da«, sagt sie, »er sitzt in deinem Zimmer.«
»Er ist ja Leutnant«, fügt mein Vater hinzu.
»Ja«, erwidere ich, »hast du das nicht gewusst?«
Ludwig sieht etwas frischer aus. Seine Ruhr bessert sich. Er lächelt mich an. »Ich wollte mir ein paar Bücher von dir borgen, Ernst.«
»Such dir aus, was du willst, Ludwig«, sage ich.
»Brauchst du sie denn nicht selber?«, fragt er.
Ich schüttle den Kopf. »Vorläufig nicht. Gestern habe ich mal versucht, etwas zu lesen. Aber es ist komisch, ich kann meine Gedanken nicht mehr richtig zusammenhalten. Nach ein paar Seiten denke ich an ganz was anderes. Als wenn man ein Brett vor dem Kopf hätte. Willst du Romane haben?«
»Nein«, sagt er und sucht sich ein paar Bücher heraus. Ich sehe auf die Titel. »So schweres Zeug, Ludwig?«, frage ich, »was willst du denn damit?«
Er lächelt verlegen. Dann sagt er zögernd: »Draußen ist mir so manches durch den Kopf gegangen, Ernst, und ich konnte es nie recht zusammenkriegen. Jetzt aber, wo es nun vorbei ist, möchte ich eine Menge wissen; wie das mit den Menschen ist, weißt du, dass so etwas passieren konnte, und wie das alles kommt. Da gibt es viele Fragen. Auch bei uns selber. Früher haben wir über das Leben doch ganz anders gedacht. Ich möchte vieles wissen, Ernst …«
Ich zeige auf die Bücher. »Glaubst du, dass du es darin findest?«
»Ich will es jedenfalls versuchen. Ich lese jetzt von morgens bis abends.«
Er verabschiedet sich bald. Nachdenklich bleibe ich sitzen. Was habe ich getan inzwischen? Beschämt greife ich nach einem Buche. Doch bald lasse ich es sinken und starre aus dem Fenster. Das kann ich stundenlang, so ins Leere hinein. Früher war das anders, da wusste ich immer, was ich tun sollte.
Meine Mutter kommt ins Zimmer. »Ernst, du gehst doch heute Abend zu Onkel Karl?«
»Ja, meinetwegen«, erwidere ich etwas missmutig.
»Er hat uns oft Lebensmittel geschickt«, sagt sie behutsam. Ich nicke. Draußen vor dem Fenster beginnt die
Weitere Kostenlose Bücher