Der Weg zurück
Reihen gelegt hatten, kamen Valentin und Jupp noch mit einer Zeltbahn angeschleppt.
»Dieser lebt noch«, sagte Jupp und schlug die Zeltbahn auseinander.
Kosole warf einen Blick darauf. »Aber nicht mehr lange«, sagte er. »Auf den können wir warten.«
Der Mann in der Zeltbahn röchelte stoßweise. Bei jedem Atemzug lief ihm das Blut übers Kinn.
»Sollen wir ihn wegbringen?«, fragte Jupp.
»Dann stirbt er gleich«, sagte Albert und zeigte auf das Blut. Wir betteten ihn seitwärts hin. Max Weil beschäftigte sich mit ihm. Dann arbeiteten wir weiter. Valentin half mir jetzt. Wir reichten Glaser herunter. »Mensch, die Frau, die Frau …«, murmelte Valentin.
»Vorsicht, jetzt kommt Schröder«, rief Jupp nach unten und ließ die Zeltbahn rutschen.
»Halts Maul«, zischte Bröger.
Kosole hielt die Leiche noch auf den Armen. »Wer?«, fragte er verständnislos.
»Schröder«, erwiderte Jupp, der glaubte, Ferdinand wisse es schon.
»Quatsch nicht, du Kuhkopp, der ist doch gefangen«, schrie Kosole wütend.
»Es stimmt, Ferdinand«, sagte Albert Troßke, der daneben stand. Wir hielten den Atem an. Kosole hob ohne ein Wort die Leiche wieder heraus und kletterte hinterher. Dann leuchtete er sie mit einer Taschenlampe ab. Ganz dicht beugte er sich über die Reste des Gesichts und suchte.
»Gott sei Dank, dass der Spieß weg ist«, flüsterte Karl.
Wir warteten regungslos auf die nächste Sekunde. Kosole richtete sich auf. »Schaufel her«, sagte er kurz. Ich gab sie ihm. Wir erwarteten Mord und Totschlag. Aber Kosole begann nur zu graben. Er machte für Schröder ein einzelnes Grab und ließ keinen anderen heran. Er trug ihn auch selbst hinein. An Seelig dachte er gar nicht, so nahm es ihn mit.
Beim Morgengrauen hatten wir beide Gräber fertig. Inzwischen war der Verwundete gestorben, und wir konnten ihn gleich zu den andern legen. Als die Erde festgestampft war, setzten wir die Kreuze ein. Kosole schrieb mit Tintenstift Schröders Namen auf eines davon, das noch leer war, und hängte einen Stahlhelm darüber.
Ludwig kam noch einmal. Wir nahmen die Helme ab. Er sprach ein zweites Vaterunser. Albert stand bleich neben ihm. Schröder war sein Nebenmann in der Schule gewesen. Am schlimmsten aber sah Kosole aus; er war ganz grau und verfallen und sagte überhaupt nichts mehr.
Wir standen noch eine Weile. Es regnete immer weiter. Dann kamen die Kaffeeholer. Wir setzten uns hin, um zu essen.
Morgens kletterte plötzlich der Spieß aus einem Unterstand in der Nähe. Wir hatten geglaubt, dass er längst weg wäre. Er stank kilometerweit nach Rum und wollte jetzt erst zurück nach hinten. Kosole brüllte auf, als er ihn sah. Zum Glück war Willy in der Nähe. Er stürzte sich sofort auf Ferdinand und hielt ihn fest. Aber wir mussten mit vier Mann alle Kräfte aufbieten, damit er sich nicht losriss und den Feldwebel erwürgte. Erst nach einer Stunde wurde er vernünftig und sah ein, dass er sich nur unglücklich machen würde, wenn er hinterherliefe. Aber er versprach an Schröders Grab, dass er noch mit Seelig abrechnen würde.
Jetzt steht Seelig an der Theke, Kosole sitzt fünf Meter von ihm weg, und beide sind keine Soldaten mehr. Das Orchestrion donnert zum dritten Mal den Marsch aus der Lustigen Witwe.
»Wirt, noch eine Lage Schnaps«, schreit Tjaden mit funkelnden Schweinsaugen. »Sofort«, antwortet Seelig und bringt die Gläser. »Prost, Kameraden!«
Kosole sieht unter gesenkten Brauen hervor. »Du bist nicht unser Kamerad«, grunzt er. Seelig nimmt die Flasche unter den Arm. »Na schön, dann nicht«, erwidert er und geht zur Theke zurück.
Valentin schüttet den Schnaps hinunter. »Sauf, Ferdinand, das ist das einzig Wahre«, sagt er.
Willy bestellt die nächste Runde. Tjaden ist schon halb besoffen. »Na, Seelig, alte Kompaniespinne«, grölt er, »jetzt kriegen wir keinen Knast mehr, was? Trink einen mit!« Er haut seinem ehemaligen Vorgesetzten auf die Schulter, dass der sich verschluckt. Dafür wäre er ein Jahr früher vors Kriegsgericht oder in die Irrenanstalt gekommen.
Kosole sieht vom Schanktisch in sein Glas und vom Glas wieder zum Schanktisch und zu dem dicken dienstfertigen Mann an den Bierhähnen. Er schüttelt den Kopf. »Das ist ja ein ganz anderer Mensch, Ernst«, sagt er zu mir.
Mir geht es ebenso wie ihm. Ich kenne Seelig nicht wieder. Er war mit seiner Uniform und seinem Notizbuch so verwachsen, dass ich ihn mir kaum im Hemd vorstellen konnte, geschweige denn als Schankwirt. Und
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