Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
Vom Netzwerk:
Dämmerung. In den Ästen der Kastanie hängen blaue Schatten. Ich wende mich um. »Wart ihr im Sommer oft am Pappelgraben, Mutter?«, frage ich rasch. »Das muss doch schön gewesen sein …«
    »Nein, Ernst, das ganze Jahr nicht.«
    »Aber warum denn nicht, Mutter?«, frage ich erstaunt. »Früher seid ihr doch jeden Sonntag da gewesen.«
    »Wir sind nicht mehr spazieren gegangen«, erwidert sie leise, »man wurde immer so hungrig davon. Und wir hatten doch nichts zu essen.«
    »Ach so …«, sage ich langsam, »aber Onkel Karl, der hatte genug, was?«
    »Er hat uns auch oft was geschickt, Ernst.«
    Ich bin plötzlich etwas traurig. »Wozu war das eigentlich alles, Mutter?«, sage ich.
    Sie streichelt mir über die Hand. »Es wird schon zu etwas gewesen sein, Ernst. Unser Herrgott wird es wohl wissen.« Onkel Karl ist der Renommierverwandte unserer Familie. Er hat eine Villa und war im Kriege Oberzahlmeister.
    Wolf begleitet mich hin, aber er muss draußen bleiben, denn meine Tante liebt keine Hunde. Ich klingele.
    Ein Mann im Frack öffnet. Verdutzt grüße ich. Dann fällt mir ein, dass es der Diener sein muss. Das habe ich beim Kommiss ganz vergessen.
    Der Mann mustert mich, als wäre er ein Oberstleutnant in Zivil. Ich lächele, aber er lächelt nicht wieder. Als ich meinen Mantel ausziehe, hebt er die Hand, als wolle er mir helfen. »Na«, sage ich, um mir seine Gunst zu gewinnen, »als alter Muskote werde ich das doch wohl selber noch fertigbringen.« Damit stülpe ich die Brocken über einen Haken.
    Er aber nimmt die Sachen schweigend wieder herunter und hängt sie mit hochmütigem Gesicht auf einen Haken daneben. Kaffer, denke ich und gehe weiter.
    Onkel Karl kommt mir sporenklirrend entgegen. Er begrüßt mich herablassend, weil ich nur dem Mannschaftsstande angehöre. Erstaunt betrachte ich seine funkelnde Gala-Uniform. »Gibt es denn heute bei euch Pferdebraten?«, erkundige ich mich, um einen Witz zu machen.
    »Wieso?«, fragt er verwundert.
    »Weil du Sporen zum Essen trägst«, erwidere ich lachend.
    Er wirft mir einen ärgerlichen Blick zu. Ohne es zu wollen, scheine ich eine wunde Stelle bei ihm getroffen zu haben. Diese Bürohocker sind beim Militär ja oft besonders scharf auf Degen und Sporen.
    Bevor ich ihm erklären kann, dass ich ihn nicht beleidigen wollte, kommt meine Tante angerauscht. Sie ist noch immer flach wie ein Plättbrett, und ihre kleinen, schwarzen Augen glänzen ebenso wie früher, als wären sie auf der Knopfgabel geputzt. Während sie mich mit einem Schwall von Worten übersprudelt, wirft sie unausgesetzt scharfe Blicke nach allen Seiten.
    Ich bin etwas benommen. Zu viel Leute, finde ich, zu viel Damen und vor allem: zu viel Licht. Im Felde hatten wir höchstens mal eine Petroleumlampe. Diese Kronleuchter hier aber sind unerbittlich wie Gerichtsvollzieher. Man kann nichts vor ihnen verstecken.
    Unbehaglich kratze ich mir den Rücken.
    »Was machst du denn da?«, fragt meine Tante und hält im Reden inne.
    »Wird wohl noch so eine Laus sein, die entwischt ist«, sage ich, »wir hatten ja so viele, das dauert mindestens eine Woche, bis man sie alle los ist …«
    Erschreckt tritt sie zurück. »Keine Angst«, beruhige ich sie, »die kann nicht springen. Läuse sind keine Flöhe.«
    »Um Gottes willen!« Sie legt den Finger an den Mund und zieht ein Gesicht, als hätte ich wer weiß was für eine Schweinerei gesagt. Aber so sind sie: Helden sollen wir sein, doch von Läusen wollen sie nichts wissen.
    Ich muss einer Anzahl Leuten die Hand geben und fange an zu schwitzen. Die Menschen hier sind so ganz anders als wir draußen. Ich komme mir schwerfällig wie ein Tank dagegen vor. Sie benehmen sich, als säßen sie in einem Schaufenster, und sie reden, als wären sie auf dem Theater. Vorsichtig versuche ich, meine Hände zu verstecken, denn der Grabendreck sitzt noch wie Gift darin eingefressen. Verstohlen wische ich sie an der Hose ab; trotzdem sind sie immer gerade dann feucht, wenn ich sie einer Dame reichen muss.
    Ich drücke mich herum und gerate in eine Gruppe, in der ein Rechnungsrat das große Wort führt. »Stellen Sie sich vor«, ereifert er sich, »ein Sattler! Ein Sattler als Reichspräsident! Malen Sie sich das mal aus: ein Gala-Empfang bei Hofe und ein Sattler, der Audienzen erteilt. Zum Piepen!«
    Er muss husten vor Aufregung. »Was sagen Sie dazu, junger Krieger!«, ruft er und patscht mir auf die Schulter.
    Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Verlegen

Weitere Kostenlose Bücher